»Wir hatten schlicht Spaß an der Gewalt«

Ist die Zeit des Hooliganismus in Deutschland vorbei, grassiert er noch stark im EM-Gastgeberland Polen

  • Lesedauer: 5 Min.
Das Buch »Münchner Bande« erschien unter dem Pseudonym TONI MEYER. Der Autor, Ex-Hooligan und heute mit Fans arbeitend, blickt im Gespräch mit CHRISTOPH RUF auf seine gewaltgeprägte Vergangenheit zurück, erklärt den Unterschied zwischen Hools und Ultras und spricht über seine Angst vor den Hooligans im EM-Gastgeberland Polen.

nd: Herr Meyer, in den vergangenen Monaten wird sehr viel über Fangewalt geredet. Generalbundesanwalt Harald Range forderte gar die elektronische Fußfessel für Hooligans. In Deutschlands Stadien ist es offenbar gefährlicher als je zuvor.
Meyer: Der Hooliganismus ist doch schon lange vorbei. Wenn wir die Zustände der 80er und frühen 90er noch hätten, könnte ich solche Aussagen verstehen, aber im Moment? Was in zwei Wochen Oktoberfest passiert, interessiert auch keinen. Ein legales Massenbesäufnis mit unzähligen Raufereien, aber das ist dann Tradition.

Was ist denn der Unterschied zwischen Hooligans und Ultras?
Ein Hool definiert sich nur über Gewalt, ein Ultra will den Verein zu hundert Prozent mit Gesängen, Choreografien und Pyrotechnik unterstützen. Natürlich ist eine Portion Selbstdarstellung dabei und es driftet auch ein kleiner Teil in den Hooliganismus ab. Jedoch ist das verschwindend gering im Gegensatz zu den 80ern und 90ern. Mein Appell an die Verbände und Vereine ist: Sprecht mehr mit den Capos, den Ultra-Anführern. Gebt ihnen das Gefühl, dass sie Teil des Vereins sind und sie werden es danken.

Gar keine Kritik an die andere Seite?
Oh doch. Es gibt immer mehr Tabubrüche! Sollten wirklich einige glauben, sie müssten andere Fans angreifen, dann macht das verdammt noch mal mit Gleichgesinnten aus, die das auch wollen.

Ein Turnier wie diese EM wäre für Sie damals ein Festtag gewesen, oder? Rechnen Sie mit Ausschreitungen?
Wir waren im Osten Europas unterwegs, wobei damals die örtliche Hooliganszene noch nicht so organisiert war wie heute. Wenn ich mir jetzt die aufgepumpten polnischen Hools ansehe, wird mir mulmig. Ihr Nazigehabe ist völlig hirnrissig, und ich hoffe, dass einzelne Anführer doch etwas Verstand haben und nur mit denen kämpfen, die das auch wollen. Ich hoffe sehr, dass sie die normalen Fans in Ruhe lassen. Dass große Hooliganhorden aus Deutschland hinfahren, bezweifle ich.

In Ihrem Buch beschreiben Sie den Nervenkitzel, den die Fußballgewalt Ihnen bot, aber auch die Eintönigkeit des Hool-Alltgas. Wie kommt man in solch eine Szene?
Anfangs stehst du in der Kurve und singst Lieder, dann bist du auswärts dabei - und irgendwann ist es wie beim Junkie: Du musst dich immer höher mit Adrenalin dosieren. Es muss immer mehr passieren. Bei einer Auswärtsfahrt muss eine Schlägerei dabei sein. Wir hatten schlicht Spaß an der Gewalt und was da aus England herüberschwappte, faszinierte viele. Auch in Düsseldorf, Nürnberg, Hamburg, Berlin - man wusste immer, da rumst's.

Spaß an der Gewalt? Das können nicht viele nachvollziehen.
Klar: Wir haben uns oft so benommen, als ob wir grad vom Baum gefallen wären. Und für jeden, der halbwegs normal aufwächst, ist Gewalt tabu. Sagt er zumindest. Ich hatte bei uns aber den Eindruck, dass da fast schon Urinstinkte hochgekommen sind.

Was meinen Sie ?
Das Ganze ist ja extrem aufgeladen. Es geht darum seine Stadt, seine Crew und seinen Verein zu verteidigen. Viele junge Männer stehen auf Revierkämpfe. In Niederbayern, wo ich als Kind oft war, hat sich die Dorfjugend auch immer mit dem Nachbardorf geprügelt. Persönlich haben dir die gegnerischen Hools nichts getan, man hat ja auch nichts gegen sie.

Ein Hool nimmt es demjenigen, der ihm drei Zähne ausschlägt, also nicht übel? Ist ja nichts Persönliches ...
Genau. Jeder weiß ja, worauf er sich einlässt.

Seltsame Welt. Gab es den vielbeschworenen »Ehrenkodex« der Hooligans wirklich? Man prügelt sich nur mit Gleichgesinnten und ohne Waffen ...
... und wer am Boden liegt, wird in Ruhe gelassen. Ja, das war meist so. Aber ich will das nicht glorifizieren. Es gab schon Situationen, in denen alles entglitten ist und Steine oder Flaschen flogen. Vor allem auf europäischer Ebene. Wenn du dann im Steinhagel stehenbleibst und ohne Waffen weiterkämpfst, dann bist du entweder Braveheart oder schön blöd. Wir hielten es damals für das Größte.

Sie beschreiben in Ihrem Buch auch Phasen, in denen Sie und Ihre Kumpels grübelten, was für ein Leben Sie da bloß führten.
Wir hatten ja, selbst wenn viele das nicht glauben, auch ein anderes Leben: einen Beruf, Frauen, die in dein Leben kommen. Du lernst Leute kennen, die sich fragen, warum du das in einem Alter noch machst, in dem andere ein Haus bauen. Und wir fuhren jedes zweite Wochenende durch die Republik und kehrten lädiert zurück.

Da kommt man ins Grübeln.
Ja, und dann passieren Dinge, die dich nachdenklich machen. Manch einer rutschte in eine Alkohol- und Drogensucht ab, und du musst aufpassen, dass dich diese ganze Hool-Spirale nicht in einen Strudel zieht. Irgendwann willst du auch ein normales Leben mit Frau, Kind und Beruf führen. Dann naht eine Entscheidung. Das war damals ein Leben wie auf der Überholspur.

Und dann kam der Gegenverkehr. Ihr Buch endet mit der Widmung: »Für tote Freunde und Feinde ...«
Die sind an dem Leben gestorben, das sie geführt haben. Alles in unserem Leben war schnell. Schnelle Drogen, schnell fahren, alles musste mit einem Kick verbunden sein. Das haben die Leute unterschiedlich ausgelebt. Es gab Unfälle, Drogen, Suizide ...

Jetzt, etwa 20 Jahre später, gehen Sie auf die 50 zu und warnen Jugendliche vor Gewalt.
Ja, und ich erzähle den Jungs unverblümt, mit welchen Konsequenzen sie rechnen müssen, wenn sie so weiter machen. Jetzt führe ich ein komplett neues Leben, das ich genieße. Aber gelegentlich denke ich mir: Mein Gott ist das langweilig, ist das alles fad!

Haben Sie denn keinen Fernseher? Da gibt es Menschen zu sehen, die freiwillig Maden essen und sich verprügeln.
Früher gab es am Marienplatz noch Mods, Teds, Punks und Sprayer. Wenn ich jetzt durch München gehe, habe ich das Gefühl, die sind alle geklont. Irgendwelche Manager, die irgendwo runterspringen, Teenies, die sich das Dschungelcamp reinziehen, weil sie das mit einer Extremerfahrung verwechseln. Wir sind damals sicher auch aus dem Ruder gelaufen, aber immerhin haben wir unsere eigene Welt geschaffen. Die heute schaffen die Medien und der Kommerz.

Toni Meyer: Münchner Bande. EMPA-Verlag. 398 S., br., 14,90 €.

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