Überkapazitäten für den Profit

Raffinerieschließung in England kostet über 800 Menschen den Job / Katastrophe für die Region

  • Christian Bunke, London
  • Lesedauer: 3 Min.
Im Nordosten Londons an der Themsemündung, soll eine Raffinerie geschlossen werden, weil der Profit krisenbedingt nicht mehr sprudelt. Protestierende wurden von der Polizei angegriffen.

Nahe der Ortschaft Coryton in der ostenglischen Grafschaft Essex wird dieser Tage eine Raffinerie abgewickelt, die 20 Prozent des Benzinbedarfs in der Region abdeckt. 850 Menschen werden deshalb ihren Job verlieren, was in der strukturschwachen Gegend ein Desaster für die Menschen ist. 200 Arbeiter blockierten am Montag deshalb mit ihren Angehörigen und Unterstützern vorübergehend das Eingangstor.

Als ein asturischer Bergarbeiter gerade eine Solidaritätsrede hielt, in der er über die dortige Streikbewegung berichtete, räumte die Polizei die Blockade sowie die Kundgebung brutal beiseite. Drei Personen wurden verhaftet. Solidaritätsproteste gab es auch vor Raffinerien im schottischen Falkirk und im nordostenglischen Lindsey.

Das Drama in Coryton hängt eng mit der Wirtschaftskrise zusammen. Die Coryton Raffinerie gehört zum Schweizer Petroplus Holdings Konzern. Dieser ist der größte unabhängige Raffineriebetreiber Europas mit Raffinerien in der Schweiz, Frankreich, Deutschland, Belgien und eben Coryton in Großbritannien. Die meisten dieser Raffinerien wurden vor sechs Jahren auf Pump zusammengekauft. Der Konzern machte 2,2 Milliarden US Dollar Schulden. Damit wollte man von der steigenden Nachfrage nach Treibstoff profitieren.

Seit Krisenbeginn ist die Nachfrage jedoch gesunken. Weltweit gibt es große Überkapazitäten. So machte etwa die Raffinerie bei Ellesmere Port in der Nähe von Liverpool in den vergangenen Monaten 19,4 Millionen Pfund Verlust. Essar Energy, die Betreiberfirma von Ellesmere Port, geht davon aus, dass weltweit 20 Raffinerien von der Größe Corytons schließen müssen.

Im Dezember 2011 drehten die Gläubigerbanken dem Petroplus Konzern den Geldhahn zu. Im Januar wurden die Aktien von der Schweizer Börse genommen, der Konzern ging in in die Insolvenz. Das Verfahren läuft bis heute. In Coryton sorgte dies im Januar für Probleme. Beschäftigte und Zulieferfirmen erhielten kein Geld mehr, das Benzin an den Tankstellen ging zeitweise aus, weil Coryton keinen Treibstoff mehr auslieferte.

Bei Coryton sind 500 Menschen direkt beschäftigt. 350 weitere arbeiten entweder für Zulieferfirmen oder als freiberufliche Tanklasterfahrer. Sie alle werden bis September auf die Straße gesetzt werden. Dabei behauptete der britische Insolvenzverwalter Price Waterhouse Cooper (PWC) noch im Februar, rund 40 Interessenten für die Raffinerie zu haben. Das ermöglichte es, über einige Monate weiter zu operieren. Im Mai erklärte PWC, es gebe keine geeigneten Käufer. Nun wird das Gelände in den Besitz von einem vom Shell Konzern geführten Konsortium übergehen. Shell wird die Raffinerie abbauen und an deren Stelle ein so genanntes Terminal, eine Art Lagerhaus für Benzin, schaffen. Dann werden dort nur noch 50 Menschen arbeiten.

Die Gewerkschaft UNITE sowie die oppositionelle Labour Partei forderten von der Regierung finanzielle Unterstützung für Coryton. Dies geschieht beispielsweise in Frankreich, wo Petroplus Raffinerien derzeit durch staatliche Gelder am Laufen gehalten werden. UNITE begründete die Forderung zum einen mit der Notwendigkeit die Jobs vor Ort zu sichern, und zum anderen mit der prekären Benzinversorgung für Großbritannien. Schließe die Raffinerie, dann seien unter anderem Engpässe bei Londoner Flughäfen zu erwarten, so die Gewerkschaft.

Die Regierung lehnte diese Forderungen indes mit Verweis auf die Überkapazitäten ab. Man werde aber die Arbeitsämter anweisen, alle notwendige Unterstützung zu geben. Kennt man die gerade eingeführten Workfare Regelungen in Großbritannien, die Erwerbslose zu Arbeit ohne Lohn verpflichten, dürfen die bald entlassenen Coryton Arbeiter dies durchaus als Drohung verstehen.

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