Wie Orbán sich das Siegen vorstellt

Ungarns Regierungschef beschenkt wieder einmal die Reichen

  • Gábor Kerényi, Budapest
  • Lesedauer: 4 Min.
»Ungarn hat gesiegt.« Mit diesen Worten kündigte Ministerpräsident Viktor Orbán am Montag im Parlament sein neues Programm zur Schaffung von Arbeitsplätzen an.

Eines war klar: Ungarns Regierung bekommt das Budget für das Jahr 2013 nur schwer in den Griff. An der fetten Spitze des Staatsapparats will sie jedenfalls nicht sparen. Außer Orbán und seinen zehn Superministern plus Kabinettchef und Regierungssprecher im Rang eines Vizepremiers führen 52 Staatssekretariate mit Staatssekretären und Vizestaatssekretären das Land. Dazu gibt es noch einige Regierungsbeauftragte und Beauftragte des Ministerpräsidenten. Insgesamt wird der Staat laut Haushaltsvorlage im kommenden Jahr 50 von 100 durch Steuern eingenommene Forint für seinen eigenen Unterhalt verwenden.

Um das mehr als ehrgeizige Ziel eines Defizits von lediglich 2,2 Prozent dennoch zu erreichen plant die Orbán-Regierung weitere direkte und indirekte Steuererhöhungen samt Einführung neuer Steuern. In der Einkommensteuerberechnung werden weitere Absetzposten abgeschafft, wodurch das System des Einheitssteuersatzes von 16 Prozent seinen letzten Schliff erhält. Außerdem sollen Versicherungen besteuert werden, so etwa Haftpflichtversicherungen mit 30 Prozent, die Kaskoversicherung mit 15 Prozent, Unfall- oder Vermögensversicherungen mit 10 Prozent. Ein Telefonsteuer wird schon ab August dieses Jahres eingetrieben, sie beträgt etwa 0,7 Cent für jeden Anruf und jede SMS. Doch die schönste aller Steuern ist die von Orbán als »Tobin-Steuer« bezeichnete Finanztransaktionsgebühr, hinter der sich eine Steuer auf Geldbewegungen aller Art verbirgt, die beispielsweise auch beim Begleichen privater Stromrechnungen zu berappen ist. Die Höhe dieser Steuer wird auf 0,1 Prozent und höchstens 6000 Forint (21 Euro) festgelegt. Dieser Maximalbetrag gilt selbstredend auch für Aktiengeschäfte in Milliardenhöhe - ein weiterer typischer Schritt orbanscher Armenfürsorge. Immerhin: Die auf 27 Prozent angehobene Mehrwertsteuer für die meisten Produkte wird 2013 nicht weiter erhöht.

Wie in den vergangenen Jahren wird am brutalsten im Gesundheitssektor gespart, diesmal an der staatlichen Unterstützung für Arzneimittelkosten und auf Kosten der Behinderten. Kinderbeihilfe und andere Familienförderungen werden trotz einer Inflationserwartung von fast drei Prozent eingefroren.

Verschiedene »kleinere« Änderungen können den Einzelnen sehr viel Geld kosten. Zum Beispiel die kilometerabhängige Autobahnmaut für alle Kraftfahrzeuge: Für jeden Kilometer plant der Staat 20 Forint (fünf Cent) einzutreiben. Allzu logisch ist, dass parallel dazu im öffentlichen Verkehrswesen verschiedene Förderungen zurückgefahren werden.

All diese bereits seit längerer Zeit geplanten Maßnahmen wurden zu Wochenbeginn um einen Zehnpunkteplan zur Arbeitsplatzschaffung ergänzt, den Viktor Orbán vor dem Parlament darlegte. Er war vor zwei Jahren unter anderem mit dem aberwitzigen Versprechen an die Macht gekommen, binnen vier Jahren eine Million Arbeitsplätze zu schaffen - in einem Land mit 10 Millionen Einwohnern. In den vergangenen beiden Jahre ist die Arbeitslosenrate jedoch auf 11 Prozent gestiegen, nach anderen Statistiken stagniert sie bestenfalls, und das trotz Einführung einer Art Zwangsarbeit für Arbeitslose. Jüngste Erhebungen in Gestalt der »Nationalen Konsultation« haben gezeigt, dass in der Bevölkerung die Sorge um den Verlust des Arbeitsplatzes der Angstauslöser Nr. 1 ist. Orbán, der sich gern als heroischer Beschützer der Ungarn aufspielt, muss und will also etwas tun.

Das gelingt ihm in Gestalt seines Zehnpunkteprogramms, das sich als reine Unternehmerpolitik erweist: Es enthält administrative und steuerliche Erleichterungen für Kleinunternehmen sowie massive Finanzgeschenke des Staates an alle Unternehmer, die junge und ältere Arbeitnehmer anstellen, die Arbeitskräfte für ungelernte körperliche Arbeit beschäftigen oder Frauen einstellen, die aus dem Mutterschutz zurückkehren. In all diesen Fällen werden ausschließlich die Unternehmerabgaben gesenkt, und zwar um 50 und für bestimmte Fristen bis zu 100 Prozent. Die Unternehmen bekommen also ihre Arbeitskräfte billiger, wenn sie die in der einen Gruppe statt der anderen suchen. Oder wenn sie im Bereich einfachster physischer Arbeit tätig werden. Orbán verwendete gar den historischen Begriff der »Erdarbeiter«, der sich in Ungarn mit dem Bild von tiefster Armut, schlimmster Ausbeutung und autoritärem Paternalismus verbindet. An den Löhnen selbst ändert sich dagegen gar nichts - bei steigender Steuerlast für die Arbeitnehmer.

Orbán verfolgt also weiter eine Politik der Geschenke an die Reichen, ergänzt durch die korrupte Vergabe staatlicher Aufträge, also den Ausbau einer regierungstreuen Oligarchie. Gleichzeitig werden die unteren Schichten ausgeblutet, ganz wie die Oligarchie das möchte, weil ihr dadurch Sozialausgaben erspart und die billig Auszubeutenden zugetrieben werden.

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