Unterwegs im Arienland

Händel in Salzburg, Göttingen und Halle

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 5 Min.

Georg Friedrich Händel (1685-1735) hat es mit seinen Opern längst (zurück) ins Repertoire geschafft. Dank der Pionierarbeit der Festspiele in Göttingen und in Halle sind die 200 Jahre Sendepause Geschichte. Der Barock-Boom der letzten Jahrzehnte hat darüber hinaus nicht nur jedem Haus, das auf sich hält, seinen Händel beschert, sondern auch viele mit historischen Instrumenten aufgerüstete Spezialensembles und nicht zuletzt eine ganze Phalanx von Countertenören als moderne Nachfolger in den einst für Kastraten geschriebenen Partien etabliert.

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Zu den ersten, die (von der Komischen Oper Berlin aus) anfingen, diese Stimmlage salon- bzw. bühnenfähig zu machen, gehört Jochen Kowalksi. Es war eine schöne biografische Pointe, ihn jetzt in guter Form in der Rolle der komischen Kammerdienerin Nirena bei einem vokalen Hochamt des Händel-Gesangs zu erleben. Zu den Pfingstfestspielen in Salzburg hat nämlich Cecilia Bartoli das Zepter als Intendantin übernommen und mit der ihr eigenen Energie ein um Kleopatra gruppiertes hochkarätiges Programm entworfen.

Dabei ist sie selbst nicht nur in der heimlichen Hauptrolle von Händels »Giulio Cesare«, als Cleopatra, sondern mit ihrem ganzen Festival durchgestartet. Um den römischen Imperator während seiner Nil-Reise als Liebhaber und Verbündeten im Kampf gegen ihren Bruder zu gewinnen, zieht sie alle Register als Verführerin.

Was die Regisseure Moshe Leiser und Patrice Caurier in Salzburg aufboten, um die politisch amouröse Dienstreise des mächtigen Römers in die Gegenwart zu verlegen, war ein metaphorisches Sammelsurium, samt Militärballett, Krokodil und Raketenfeuer - mithin eine Art ironisches Resümee aller Zutaten, mit denen in den letzten Jahrzehnten aus Händels Vorlagen barocke Bühnenshows jeder Regie-Spielart gemacht wurden. Immerhin war das ein deutlicher Kontrast zur szenischen Langeweile der letzten Jahre unter Riccardo Muti.

Für den musikalischen Triumph sorgten neben Giovanni Antonini und den Musikern des Il Giardino Armonico nicht nur Anne Sofie von Otter als wunderbar dunkel leidende Pompejus-Witwe Cornelia, sondern so viele exquisite Countertenöre, dass diesmal jede männliche Rolle auch von einem Mann gesungen werden konnte: Das beginnt beim koloraturgeschmeidigen Andreas Scholl als Cesare, geht weiter mit Philippe Jaroussky als jugendlich zerrissenem Sesto und hat mit dem sportiven Christophe Dumaux einen vitalen Tolomeo-Darsteller, der obendrein so ziemlich jede Despoten-Perversion vorzuführen hat.

Dass Cecilia Bartoli mit ihrer singulären Koloraturvirtuosität wie bei einem Soloauftritt punktete, machte nicht nur ihren Fans Freude, sondern verlieh dem noblen Protagonisten-Ensemble auch ein Zentrum. Diesen vokalen Luxus kann man sich allerdings nur an der Salzach leisten.

Doch auch beim jüngsten Göttinger Festspielbeitrag »Amadigi in Gaula«, einer Eifersuchts-Beziehungssoap mit böser Zauberin und ausführlich zelebriertem Happy End aus dem Jahre 1715, lieferte ein Spezialorchester die Basis für eine veritable - hier von einem Damenquartett dominierte - Ensembleleistung. Seit 2006 finden sich in Göttingen Musiker aus internationalen Alte-Musik-Ensembles als FestspielOrchester Göttingen zusammen. In diesem Jahr bewies Dirigent Andrew Parrott überzeugend, dass dieses Modell nicht nur in Bayreuth funktioniert.

Die Regisseurin Sigrid T'Hooft sieht sich als Botschafterin aus dem fernen Reich der barocken Formen- und Gesten-Sprache - und dies in einer Opernwelt, die solche Art von historischer Rekonstruktion eher mit Misstrauen, zumindest jedoch wie eine exotische Ausnahme betrachtet. Als Festspielschmankerl geht das freilich an, und die neue Festspielleitung hat für die Folgejahre auch andere Handschriften anvisiert.

Verglichen mit diesen Interpretationen war Andrej Worons Zugang zur Zauberinnen-Oper »Alcina« bei den Händelfestspielen in Halle der ambitionierteste Versuch, Gattung und Gegenwart Tribut zu zollen. In seiner auf zwei Akte gestrafften Fassung nimmt er eindeutig Partei für Alcina. Die ist hier eine zwar selbstbewusste, aber in erster Linie rückhaltlos liebende Frau, in deren Reich man sich, auf den ersten Blick, ver- und entkleiden kann, wie man will. Dass hier nicht alles so locker zugeht, wie es scheint, wird klar, wenn ein junger Mann zwischen lauter Hippies beharrlich nach seinem Vater sucht. Oder wenn bei dem im Piratenlook ausstaffierten Liebhaber von Alcinas offenherziger Schwester Morgana bei erster Gelegenheit die Eifersucht ausbricht: Er setzt eine Intrige in Gang, die letztlich zum Ende dieses Inselexperimentes mit der freien Liebe führt. Auf ihre Fähigkeiten zur großen Hokuspokus-Show besinnt sich Alcina erst, als es zwei ungeladenen Eindringlingen aus der geschäftigen Welt des rationalen Verhaltens gelingt, ihr ihren Liebhaber Ruggiero wieder abspenstig zu machen.

Das ist spannend und auf den Beziehungsplot konzentriert erzählt - mit dazwischentrommelnden oder -stampfenden Einlagen und fliegenden Fischen. Die Aufführung profitiert von der (unüblichen, aber heute möglichen) Besetzung des Alcina-Liebhabers mit einem Mann. Counter Terry Wey lässt es sich obendrein nicht entgehen, auch mit seinen Ruggiero-Bravour-Arien abzuräumen.

Der Clou des überzeugenden Ensembles ist aber unumstritten Romelia Lichtenstein. Für den grandiosen Bogen von der liebenden über die leidenschaftlich zaubernde zur gescheiterten Frau hat sie als Alcina jede stimmliche Facette zur Verfügung und profitiert obendrein von der stets klug ausgeschöpften Breite ihres Repertoires. Völlig zu Recht wurde sie noch während des Schlussjubels zur Kammersängerin ernannt.

Dass unter der Leitung von Bernhard Forck mit dem Händelfestspielorchester ein Spezialensemble zur Verfügung steht, das Erfahrung mit Verve verbindet, versteht sich in der Geburtsstadt des Komponisten von selbst.

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