Wie zu Zeiten Ronald Schills

Neuer Abschiebeskandal im roten Hamburg

  • Susann Witt-Stahl
  • Lesedauer: 3 Min.
Für einen ausgewachsenen Skandal sorgt in Hamburg ein Vorfall, der sich am vergangenen Freitag während der Abschiebung eines Roma-Flüchtlings ereignet hat. Seiner Frau soll das Baby weggenommen worden sein, um eine Auskunft über den Aufenthaltsort ihrer anderen Kinder zu erpressen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Nicht wie gewöhnlich im Morgengrauen, sondern bei Anbruch der Abenddämmerung kamen die Beamten in die Wohnung einer siebenköpfigen Roma-Familie in einer Flüchtlingsunterkunft in Hamburg-Billstedt. Laut von der Organisation »Roma in Hamburg« zusammengetragenen Augenzeugenberichten räumten sie Sebastijan A. und seiner 25-jährigen Frau Sajda eine halbe Stunde zum Packen ein. Dann habe die Polizei die Betroffenen vor die Wahl gestellt, wer von ihnen sofort und allein abgeschoben werden und wer später mit den fünf Kindern folgen solle. Der Vater, der erst vor Kurzem einen Klinikaufenthalt wegen schwerer Depressionen hinter sich gebracht hatte, nahm die Tortur schließlich auf sich.

Derweil soll eine Mitarbeiterin der Ausländerbehörde der Mutter ihr einjähriges Baby entrissen und ihr mit Kindesentzug gedroht haben, wenn Sajda nicht verrate, wo sich ihre anderen vier Kinder aufhielten. Schließlich habe die verängstigte Frau die Adresse des Jugendcamps der sozialistischen Jugendorganisation »Falken« auf der Insel Föhr preisgegeben, wo sich die Mädchen im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren befanden. Die Polizei habe telefonisch angekündigt, die Kinder direkt aus den Ferien abzuschieben, so der Hamburger Landeschef der »Falken«, Tilman Dieckhoff. Schließlich habe sie dies aufgegeben - allerdings nur, vermutet er, weil keine Fähre mehr in Richtung Festland fuhr.

Für die flüchtlingspolitische Sprecherin der Hamburger LINKEN-Bürgerschaftsfraktion Christiane Schneider ist es nichts anderes als »kalte Grausamkeit«, mit der die Behörden zu Werke gegangen sind. Die SPD, die Hamburg mit absoluter Mehrheit regiert, betreibe eine »gnadenlose Abschiebepolitik«. Diese sei mittlerweile sogar »so schlimm«, hatte der Fraktionschef der Grünen, Jens Kerstan, bereits einige Tage vor dem Vorfall in einem Interview kritisiert, »wie vor zehn Jahren unter dem unseligen Rechtspopulisten Ronald Schill«. Im Eingabenausschuss und der Härtefallkommission, so Kerstan weiter, werde der mögliche Ermessenspielraum gar nicht mehr zugunsten der Betroffenen genutzt.

Das ist nicht der einzige Missstand: Mitarbeiter der Hamburger Ausländerbehörde fallen immer wieder negativ auf: Während eines Wortgefechts mit Nachbarn von Sebastijan A., berichtet »Roma in Hamburg«, habe dieselbe Mitarbeiterin, die seiner Frau das Baby weggerissen haben soll, anderen Roma gedroht, »dass man sich bei der Verlängerung von deren Duldung wiedersehen werde«.

2005 hatte der Filmemacher Michael Richter bei Dreharbeiten für seine Dokumentation »Abschiebung im Morgengrauen« auf dem PC-Bildschirmschoner einer Behördenmitarbeiterin den zynischen Slogan »Wir buchen, Sie fluchen - mit freundlicher Unterstützung des Reisebüros Never-Come-Back-Airlines« entdeckt.

Die Innenbehörde gibt sich überaus wortkarg, wenn es um die Aufklärung der Ereignisse vom Freitag geht. Den Hauptvorwurf wiegelt sie ab: Alles spreche dafür, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme, »dass die Mutter einen Schwächeanfall erlitten hat«. Die Mitarbeiterin der Ausländerbehörde habe ihr das Kind abgenommen, weil die Frau »zusammengesackt« sei.

Für die inzwischen eingeschaltete Staatsanwaltschaft ist der Fall damit nicht erledigt: Sie ermittelt wegen »des Verdachts der Nötigung«. Zudem haben die Grünen den für ihre Begriffe »rechtsstaatlich unerträglichen und inhumanen Vorgang« auf die Tagesordnung des Innenausschusses der Hamburgischen Bürgerschaft gesetzt, der heute tagen wird.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal