Fixierung von Heimbewohnern nur mit gerichtlicher Genehmigung

Zwei BGH-Urteile: Zustimmung des Betreuers reicht nicht aus

  • Lesedauer: 2 Min.
In Pflegeheimen werden Demenzkranke oft mit Gurten oder Gittern daran gehindert, ihr Bett oder ihren Rollstuhl zu verlassen. Dabei handelt es sich um Freiheitsentzug, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Urteil vom 27. Juli 2012 (Az. XII ZB 24/12). Deshalb müssen Richter diese Maßnahmen prüfen.

Damit stellten die höchsten Bundesrichter klar: Demente Heimbewohner dürfen nicht ohne gerichtliche Genehmigung mit Bettgittern oder Gurten in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden. Die Zustimmung des Betreuers reiche nicht aus. Das Anbringen von Bettgittern sowie die Fixierung im Stuhl mit einem Beckengurt seien freiheitsentziehende Maßnahmen, die eine gerichtliche Prüfung erfordern.

Demente Menschen zeigen oft einen übergroßen Bewegungsdrang, verlassen die Einrichtungen und irren draußen herum. Nach im Frühjahr veröffentlichten Zahlen des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen werden rund 140 000 Menschen mit Gittern, Gurten oder anderen Barrieren daran gehindert, ihr Bett oder ihren Rollstuhl zu verlassen. Bei 14 000 von ihnen fehle die richterliche Genehmigung, stellte der Medizinische Dienst fest.

Die Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung schätzt sogar, dass bis zu 40 Prozent der insgesamt 700 000 Pflegeheimbewohner fixiert werden. Stiftungsvorstand Eugen Brysch forderte die Gesundheitsminister von Bund und Ländern auf, Maßnahmen zu treffen, um Fixierungen möglichst zu verhindern. »Durch Schulung des Personals und angepasste Hilfsmittel kann auf den größten Teil der freiheitsentziehenden Maßnahmen verzichtet werden.«

Im vorliegenden Fall hatte der Sohn einer 1922 geborenen Frau eingewilligt, Gitter am Bett seiner Mutter anzubringen und sie tagsüber mittels eines Beckengurts in ihrem Stuhl festzuschnallen. Zuvor war sie mehrmals gestürzt und hatte sich dabei den Kiefer gebrochen.

Die Mutter hatte ihrem Sohn schon im Jahr 2000 eine notarielle Vorsorgevollmacht erteilt, die auch Maßnahmen bei der Unterbringung in einem Heim umfasste. Die Zustimmung des Sohnes sei dennoch nicht ausreichend, entschied der BGH. Zum Schutz der Betroffenen müsse das Betreuungsgericht überprüfen, ob die Vollmacht auch im Sinne der Betroffenen ausgeübt werde.

Die Zwangsbehandlung psychisch Kranker ist nicht zulässig

In zwei anderen Fällen entschied der Bundesgerichtshof: Eine zwangsweise Behandlung psychisch Kranker ist nach derzeitiger Rechtslage nicht zulässig. Es fehle an einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage, so der BGH in zwei am 17. Juli 2012 veröffentlichten Urteilen (Az. XII ZB 99/12 und Az. XII ZB 130/12). Auch hier stellte das Gericht fest, dass die Zustimmung des Betreuers nicht ausreiche.

In beiden Verfahren standen die Betroffenen wegen einer psychischen Erkrankung unter Betreuung. Sie waren in geschlossenen Anstalten untergebracht und wollten sich nicht mit Medikamenten behandeln lassen. Die Betreuerinnen beantragten deshalb die Zwangsbehandlung. Dies lehnte der XII. Zivilsenat ab und änderte damit seine bisherige Rechtsprechung.

Die BGH-Richter verwiesen auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem vergangenen Jahr, wonach die Zwangsbehandlung eines Straftäters im Maßregelvollzug nur aufgrund eines Gesetzes zulässig ist. Ein solches Gesetz fehle auch für die Behandlung von Betreuten, entschied der Bundesgerichtshof.

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