Studentisches Unvermögen
Es ist schon seltsam, welch unterschiedlichen Widerhall manche Meldungen in der veröffentlichten Meinung finden. Die Tatsache etwa, dass der russische Weltklasse-Bariton Evgeny Nikitin wegen einer aus seiner Jugendzeit stammenden Hakenkreuz-Tätowierung den Grünen Hügel in Bayreuth drei Tage vor der Premiere des »Fliegenden Holländer« verließ, wurde von nahezu allen Medien eifrig kommentiert. Ebenfalls aus Bayreuth wurden etwa zur selben Zeit die beschämenden Ergebnisse einer Studie der Universität bekannt, der zufolge es um die geistigen Fähigkeiten unserer akademischen Jugend nicht eben zum Besten bestellt ist. Eine Umfrage unter den Professoren von 135 geisteswissenschaftlichen Fakultäten an 62 deutschen Universitäten bescheinigte großen Teilen des studentischen Nachwuchses mangelnde Kenntnisse in Rechtschreibung und Grammatik, fehlende Lesekompetenz und schwindenden Wortschatz, geringe Konzentrationsfähigkeit sowie das Unvermögen zu argumentativer Kritik und Logik.
Wer nun meinte, eine solche Schreckensmeldung müsse doch mindestens so skandalträchtig sein wie der absurde Abgang eines bekannten Sängers, der irrte sich. Einer der wenigen, die öffentlich darauf reagierten, war Josef Kraus, der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, der zu Recht auf die mangelnden Voraussetzungen im Fach Deutsch verwies, das »in der jüngeren Schulgeschichte am meisten unter schulpolitischen Vorgaben gelitten« habe. Könnte es sein, dass in der veröffentlichten Meinung die Fähigkeit schwindet, zwischen Befindlichkeiten und wirklichem Befinden zu gewichten?
Der Autor ist Publizist und lebt in Ober-Ramstadt bei (Hessen).
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