Wohliges zum Fürchten
Stephen Cave sinniert über Unsterblichkeit
Ein Buch über Unsterblichkeit. Über ein Un-Wort. Und für alle, nein: fast alle Un-Worte gilt, dass man verstehen muss, was sie negieren. Wer also über Sterblichkeit nicht reden will, sollte über Unsterblichkeit schweigen. Genau das kann der Mensch aber nicht, weil er eben Mensch ist. Das zeichnet ihn aus: dass er ein Verhältnis zu seiner Sterblichkeit hat. Er ist endlich - und sobald ihm dies bewusst ist, hat er auch eine Vorstellung von Unendlichkeit in sich. Diese Vorstellung mag von einem Schwindelgefühl begleitet sein, von der jähen Erkenntnis, dass wir uns auf ungeheuer dünnem Eis bewegen; dass das »Ganze von einer Fragilität ist, die es einem fast nicht erlaubt, von Tag zu Tag zu kommen« (W.G. Sebald). Es mag ein »unendlicher Schmerz« mit dem Denken unserer Endlichkeit verbunden sein - und doch kann der Mensch diesen Schmerz ertragen (Hegel).
Weniger tiefgründige Einsichten hat der Leser von dem jüngst erschienenen Buch des britischen Philosophen und Diplomaten Stephen Cave zu erhoffen, obgleich der nichts Geringeres als eine »Analyse der Unsterblichkeit« vorzulegen gedenkt. - Und zwar verknüpft mit der These, die lange und komplexe Geschichte menschlicher Kultur und Zivilisation sei im Grunde einzig Ausdruck des menschlichen Strebens nach Unsterblichkeit als Befriedung jener »angeborenen« Angst vor dem Tod.
Nun weiß man inzwischen, was man von jedwedem monokausalen Erklärungsmuster zu halten hat. Und man weiß: Wer alles zu erklären versucht, hat am Ende nichts erklärt. Eine Theorie, die was die Entstehung und Entwicklung menschlicher Zivilisation angeht, von sozialen und ökonomischen Faktoren absieht, ist schwerlich ernst zu nehmen. Cave scheint indes zu glauben, es sei tatsächlich gesellschaftlich relevant, das alte Problem der »Unsterblichkeit der Seele« vor dem Hintergrund moderner Erkenntnisse der Naturwissenschaften und der Hirnforschung zu diskutieren - als ob sich nicht im Hinblick auf die vermeintlich revolutionären Einsichten der Hirnforschung aktuell ganz andere Fragen stellten, wie etwa die Auswirkungen des von Seiten der Hirnforschung proklamierten naturalistischen Determinismus auf das dem Strafrecht bislang zugrundeliegende Schuldprinzip.
Wenn man Eines von einer philosophischen Arbeit erwarten kann, und wenn etwas den philosophischen Standpunkt von anderen, etwa naturwissenschaftlichen, unterscheidet, dann ist das die Reflexion auf das eigene Tun. Das begriffliche und methodische Durchsichtigmachen der eigenen Überlegungen, die auf diese Weise selbst zum Gegenstand der gedanklichen Auseinandersetzung werden. Und das ist kein Spiel um Worte innerhalb des Elfenbeinturms Philosophie, sondern ein Verfahren, das aller wissenschaftlichen Erkenntnis vorauszugehen hat, ohne das die Philosophie, wie sich anhand der Lektüre dieses Buches zeigt, zur seichten Ratgeber-Literatur degeneriert.
Hätte der Autor sich der Mühe unterzogen, den eigenen Standpunkt zu thematisieren und zu begründen, wäre ihm zweifellos nicht entgangen, dass er sich heillos in Widersprüche verwickelt. Gänzlich ungeklärt bleibt nämlich die Frage, wie sein naturalistisch-deterministischer Standpunkt mit seinen kulturhistorischen Ausführungen in Einklang zu bringen ist.
»Bewusstsein« (also auch unsere Angst vor dem Tod), »Geist« und »Kultur« seien - auf diesen Zug springt Cave ungehemmt auf - Produkt von Gehirnfunktionen. Dennoch präsentiert uns der Autor schließlich eine Tugendlehre nach antikem Vorbild, die dem geneigten Leser nahelegt, er möge sich mit dem Gedanken der Sterblichkeit doch nun endlich einmal aussöhnen. Eine dieser die Todesangst mildernden »Tugenden« ist - man befürchtet es über volle 300 Seiten hinweg und ist dennoch fassungslos: Dankbarkeit. Dankbarkeit angesichts der wundervollen Tatsache: zu sein (wenn auch nur für eine kleine Weile).
Wem bloße Empörung über solchen Zynismus angesichts der sozialen und wirtschaftlichen Missstände allerorten nicht reicht, der mag dem Autor die ketzerische Frage stellen, wie er angesichts seines Naturalismus, demzufolge der Mensch bis ins Letzte von Gehirnfunktionen bestimmt wird, zu einem ethischen Sollen gelangt, das doch die Freiheit des menschlichen Willens zur Bedingung hat. Ernstzunehmende Fragen. - Für solcherlei Wohlstandsgrübeleien von Angehörigen des diplomatischen Dienstes ist es zu kurz, das Leben.
Stephen Cave: Unsterblich. Die Sehnsucht nach dem ewigen Leben als Triebkraft unserer Zivilisation. Aus dem Englischen von Michael Bischoff. S. Fischer Verlag. 368 S., geb., 22,90 €.
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