Doku-Serie »World White Hate«: Das ist Krieg!

Die Doku-Serie »World White Hate« durchleuchtet das weltweite Netzwerk rechtsextremer Terroristen

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.
Unter Tauchern als »Alles okay« bekannt, ist der Kreis aus Zeigefinger und Daumen inzwischen Symbol der weltweiten »White Power«-Bewegung.
Unter Tauchern als »Alles okay« bekannt, ist der Kreis aus Zeigefinger und Daumen inzwischen Symbol der weltweiten »White Power«-Bewegung.

Es war am 19. April 1995, selbst Ältere erinnern sich womöglich nur vage, als Timothy McVeigh das Murrah Federal Building von Oklahoma City in die Luft jagte. Sein gewaltiger Sprengsatz riss 168 Menschen in den Tod und fügte 800 weiteren schwerste Verletzungen zu. Bis 9/11 blieb dies der folgenschwerste Terroranschlag auf amerikanischer Erde seit dem Bürgerkrieg. Sechs Jahre später wurde der Irak-Kriegsveteran dafür zum Tode verurteilt und hingerichtet – aber keineswegs vergessen. Im Gegenteil: Er wurde zum Märtyrer.

Posthum erfreut sich Timothy McVeigh der wachsenden Popularität in einem Netzwerk, das die SWR-Serie »Word White Hate« auf Arte ein bisschen begreifbarer macht. Es besteht aus Rechtsterroristen aller Herren Länder, die dem Attentäter nacheifern. Dirk Laabs listet ein knappes Dutzend von Anschlägen auf. Oklahoma, Christchurch, Utøya, Halle, Hanau – die Tatorte sind längst Worte wie Donnerhall und haben abseits vom Rassenhass vor allem eines gemeinsam: Sie beziehen sich wechselseitig aufeinander. Immer und immer und immer wieder.

Dreimal quälend erhellende 55 Minuten lang nimmt der investigative Filmemacher aus Hamburg sein Publikum mit ins Reich der braunen Finsternis.

Dreimal quälend erhellende 55 Minuten lang nimmt der investigative Filmemacher aus Hamburg sein Publikum mit ins Reich der braunen Finsternis. Er besucht Hinterbliebene eines Terrorangriffs in Buffalo und Überlebende von Anders Breiviks Inselmassaker. Er durchleuchtet paramilitärische Kampftruppen wie The Base in den USA und bundesdeutsche Reichsbürger um Heinrich VIII. Prinz Reuß. Er spürt islamistische, kindliche, sogar schwarze Neonazis auf und lässt sich die Breite der weißen Umsturzbewegung von einer Riege ausgewiesener Fachleute erklären.

Seine Dokumentation ist, in vier Worten: exzellent recherchiert, kompiliert, inszeniert. Einerseits. Denn andererseits bietet sie naturgemäß ein Stück weit Terrorpornografie und bewegt sich damit auf glitschigem Geläuf. Wie bei Autounfällen oder Atompilzen kann man sich dem Sog der medial aufbereiteten Massenmorde nur schwerlich entziehen. Und der Autor verstärkt diesen noch durch ständige Aufnahmen blutiger Attentate, die zum Teil von Kameras auf den Waffenläufen berüchtigter Terroristen gefilmt wurden. Es ist ein Balanceakt zwischen Chronistenpflicht und Voyeurismus, bei dem Dirk Laabs nicht immer ganz trittsicher agiert.

Nur, was wäre denn angesichts der aktuellen Zuspitzung faschistischer Bedrohungen von Timothy McVeigh bis Donald Trump, von Anders Breivik bis Viktor Orbán, von Prinz Reuß bis Björn Höcke die Alternative? »Das ist Krieg«, sagt der Vater eines amerikanischen Opfers rechtsterroristischer Anschläge. »Sie haben ihre Waffen gezückt und ihre Kapuzen abgenommen und scheuen das Tageslicht nicht mehr.« Das macht Dirk Laabs vom Dokumentarfilmer zum Berichterstatter einer offenen Feldschlacht gegen Pluralismus, Menschenwürde, Demokratie.

Da überrascht es wenig, dass unzählige Krieger – davon handelt der zweite Teil »Söldner, Soldaten und Veteranen« – zuvor uniformiert waren. »Wenn du nicht als Rassist in die Armee gehst«, sagte der Ex-GI Wade Page nach seinem Angriff auf ein Sikh-Zentrum 2012 in Milwaukee, »kommst du als Rassist wieder raus.« Das gilt zum Teil auch für die Bundeswehr. Offiziere wie Franco Albrecht zum Beispiel, der als Syrer verkleidet einen islamistischen Anschlag simulieren und damit für Chaos sorgen wollte. Oder der frühere KSK-Kämpfer Maximilian Eder im Reichsbürger-Corps des selbsterklärten Reichsbürger-Regenten Prinz Reuß.

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Auch ihre Umsturzpläne gärten jahrzehntelang im Untergrund vor sich hin, bevor sie ein wahrhaft weltbewegendes Ereignis ans Tageslicht beförderte: Barack Obamas Wahl zum ersten schwarzen US-Präsidenten. Dieser Angriff auf das Privileg weißer Allmachtsansprüche, sagt ein Terror-Experte, ließ die Zahlen gewaltbereiter Rechtsextremisten »förmlich explodieren«. Und produziert seither weltweit Nachahmungstäter, denen die Aufmerksamkeitsindustrie pausenlos aufgeweckte Schläfer liefert.

Die Sozialforschung spricht vom »Copycat-Effect«, den selbst seriöse Medien durch bloße Berichterstattung reproduzieren. Denn Journalisten, schreibt der Kommunikationswissenschaftler Martin Löffelholz, »können Täter zu Helden stilisieren und damit den Terror verstärken«. Es ist ein Teufelskreis, den besonders Donald Trumps zweite Amtszeit nachhaltig normalisiert.

Immerhin: Es gibt Widerstand gegen den »Word Wide Hate«. Lauten, wie von Birgit Kieschnick, die in der AfD-Hochburg Bautzen gegen rechte CDU-Strukturen kämpft. Und leisen, wie von Serpil Unval, unermüdlich mahnende Mutter eines der Hanauer Terroropfer. Die dritte Folge richtet die Aufmerksamkeit von den Tätern auf die Opfer und macht damit ein wenig Hoffnung. Angesichts des rechten Terrors ist sie bitter nötig.

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