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Immer Feste drauf
»Was ihr wollt« wird an deutschen Theatern derzeit rauf und runter gespielt
Wer sich für das Bühnengeschehen in Deutschland interessiert, der hat es vielleicht bereits bemerkt: Shakespeares späte Komödie »Was ihr wollt« wird derzeit rauf und runter gespielt. Sicher, das Stück zählt schon seit einer ganzen Weile zu den meistgespielten des Genossen. Trotzdem ist diese Häufung in letzter Zeit auffällig.
Die Volkstheater in München und in Rostock, das Schauspiel Stuttgart und das Theater Coburg, das Theater Dortmund und Berlins Theater an der Parkaue haben den Stoff gespielt. Es folgten das Schauspiel Köln, das Staatsschauspiel Dresden, die Nationaltheater in Weimar und in Mannheim sowie die Münchner Kammerspiele. Und das allein in den letzten beiden Spielzeiten. Für die nächste Theatersaison haben bereits das Berliner Ensemble und das Thalia Theater in Hamburg – nicht gerade unbedeutende Häuser – »Was ihr wollt« auf den Spielplan gesetzt.
Wie es euch gefällt: Alle zwei Wochen schreibt Erik Zielke über große Tragödien, politisches Schmierentheater und die Narren aus Vergangenheit und Gegenwart. Inspiration findet er bei seinem Genossen aus Stratford-upon-Avon.
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Warum ausgerechnet dieses Drama? Die karnevaleske Verwechslungskomödie, angesiedelt im fernen Illyrien, handelt von dem Zwillingspaar Viola und Sebastian, die ein Schiffsunglück ereilt, wobei Letzterer von seiner Schwester totgeglaubt ist. Und sie handelt von Illyriens Herzog Orsino und der Gräfin Olivia, die dieser glücklos liebt. Viola tritt bald, als Mann verkleidet und unter dem Namen Cesario, in die Dienste Orsinos, an dem sie sichtlich Gefallen findet. Cesarios allerdings nimmt eher die Gräfin für sich ein. Die wird wiederum auch von einem Saufkumpanen ihres Onkels begehrt. Die mischen das ganze Durcheinander, unterstützt vom weisen Narren Feste, noch weiter auf. Und da taucht auch schon Sebastian auf, der kaum zu unterscheiden ist von seiner Mann gewordenen Schwester. Dann aber – natürlich! – geht doch noch alles gut und jeder findet, zu dem er oder sie gehört.
Warum aber wird dieses Stück zu unserer Zeit so häufig gespielt? Kommen nicht andere Shakespeare-Dramen unserem Heute, geprägt von Krieg und machtbesessenen Potentaten, wesentlich näher? Oder ist »Was ihr wollt« die heiter-kluge Abwechslung von den uns umgebenden Katastrophen?
Möglicherweise lässt sich an dieser spielplanpolitischen Tendenz aber etwas anderes ablesen: Feiert vielleicht der von dem Genossen Shakespeare gepflegte spielerische Umgang mit Rolle, Identität, Geschlecht ein Comeback? Es gibt Menschen, die wähnen die rigide ausgelebte linke Identitätspolitik, wie sie uns in den letzten Jahren begegnet ist, an ihr Ende gekommen. Zur Shakespeare-Zeit, als die Theaterbühne Männern vorbehalten war, war der Darsteller der Viola bekanntlich ein Mann, der eine Frau spielte, die einen Mann spielte. Das aber machte einen guten Teil des Witzes aus.
Wenn man den Neoessentialismus beiseitelässt, den Schubladenschrank weit aufmacht und die Kategorisiererei einstellt, dann kann man den Kulturkampf den Rechten – vom Sprücheklopfer Merz bis zu den lauter werdenden Faschisten – überlassen und dem Irrsinn mit Shakespeare’schem Humor begegnen. Das könnte Spaß bedeuten.
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