»... als wäre ich ein Außenstehender«

Frido Mann über sein neues Buch »Mein Nidden«, das Verhältnis zur Familie Mann und eine Begegnung mit der Stasi

  • Lesedauer: 5 Min.
FRIDO MANN, geboren 1931 in Kalifornien, wurde als Lieblingsenkel von Thomas Mann und durch dessen Roman »Doktor Faustus« bekannt. Sohn von Gret Moser und Michael Mann, Thomas Manns jüngstem Sohn. Er arbeitete erfolgreich als klinischer Psychologe, bevor er sich ab 1981 vorrangig dem Schreiben widmete. Im jüngsten Buch »Mein Nidden« folgt er den Spuren seines Großvaters auf der Kurischen Nehrung (mare verlag, 160 S., geb., 18 €).

nd: Frido Mann, Sie waren Thomas Manns Lieblingsenkel. Durch Ihre Zugehörigkeit zur Familie Mann erleben Sie, dass private Dinge immer in der Öffentlichkeit verhandelt werden. Wie gehen Sie damit um?
Mann: Ich bin so aufgewachsen. Mir hilft es, mich auseinanderzusetzen. Das habe ich besonders bei meiner Autobiografie »Achterbahn« gemerkt. Ich habe in diesem Buch noch sehr viel persönlicher über die Familie und auch von »Großvater« gesprochen. In meinem neuen Buch kommt dieses Wort kein einziges Mal vor. Ich tue so, als wäre ich ein Außenstehender, obwohl ich das nur zur Hälfte bin. Mit Distanz lässt sich einfach besser mit der Familie Mann leben, das Schreiben ist dabei auch immer ein bisschen Therapie.

Golo und Elisabeth Mann sind in den 1990er Jahren gestorben. Ist es angenehm, dass die legitime Deutungshoheit für die Familiengeschichte jetzt bei Ihnen liegt?
Das würde zu weit gehen. Ich bin jetzt natürlich rechtlich gesehen der Nachlassverwalter und wenn Unfug gemacht wird, schreite ich ein. Ich denke zum Beispiel an ein entsetzliches Buch, das ich nicht nennen will, weil es sonst Öffentlichkeit bekäme, da habe ich jetzt mit dem Verlag Ärger. Ich finde wichtig, dass man für die Familie einsteht, wenn es gefährlich wird. Wenn es nur noch um Schlammschlacht und Geldverdienen geht, hört es bei mir auf.

In der Familie Mann versammelten sich viele sehr begabte Menschen, die einander die Aufmerksamkeit häufig missgönnten und vor allem selten Lob für die oft außerordentlichen Leistungen anderer Familienmitglieder aussprachen. Wo liegen die Ursachen für dieses Phänomen?
Schauen Sie sich doch die Windsors in England an. In einer großen Familie, einer begabten Familie - obwohl die Windsors nichts geleistet sondern nur repräsentiert haben - gibt es schnell Gerangel. Besonders typisch ist: Wenn der Pater familias, der alles zusammengehalten hat, nicht mehr da ist, platzt das Ganze. Vorher sind die Rivalitäten unterschwellig, man bemüht sich noch und wahrt den Anstand nach außen hin. In der Familie Mann ist es nicht sofort explodiert, aber es haben sich sehr schnell Rivalitäten und Feindschaften entwickelt.

Sind die vielen Begabungen in Ihrer Familie ein Fluch?
Natürlich sind sie das. Das hat sich auch um Thomas Mann herum gezeigt. Zwei seiner Schwestern haben sich umgebracht, und auch er hatte als junger Mann solche Anwandlungen - erst unter der Glasglocke der Ehe dann nicht mehr. Auch sein ältester Sohn, Klaus, hat sich umgebracht, die meisten seiner anderen Kinder haben sich schleichend selbst zerstört.

Sie selbst haben erfolgreich Musik, Theologie, Psychologie studiert und sich 1979 in Leipzig als klinischer Psychologe habilitiert. Warum kamen Sie in die DDR?
Das hat sich langsam so ergeben: zuerst über eine Publikationsanforderung, dann, weil ich die Psychiatrie in der DDR kennenlernen wollte. Mir wurde ein Kurs angeboten, über eine Methode, die ich mitbegründet hatte. Später kam ein halbes Jahr Dozententätigkeit hinzu, woraufhin mir angeboten wurde, mich zu habilitieren. Aber die Stasi war mir auf den Fersen.

Woran haben Sie das gemerkt?
In Leipzig-Mockau gab es ein Hochhaus, wohin ich eingeladen wurde. Auf einem Schild stand »Messeamt«, da saßen die drin. Zuerst haben sie mich nach Weimar zu Goethe und Schiller eingeladen, dann nach Buchenwald. Dann wurden sie deutlicher und fragten, ob ich nicht für sie arbeiten wolle. Einer hat mir seine Visitenkarte gegeben. Ich habe dann einfach Geschichten erfunden, dass der Verfassungsschutz hinter mir her sei. Das hat sie abgeschreckt, und ich habe mich langsam da rausgezogen. Das war sehr schwer.

Aber es ist Ihnen gelungen?
Absolut. Ich habe keine Unterschrift gegeben, ich bin kein IM gewesen (lacht).

Sie kennen die Geschichten Ihrer Familie sehr genau, wie Ihre Publikationen zeigen.
Das muss ich. Die Öffentlichkeit weiß ohnehin, dass man der Enkel von Thomas Mann ist. Ich habe auch gemerkt, dass mir die Beschäftigung mit der Familie gut tut.

Gab es Familienmitglieder, die sich der Auseinandersetzung entzogen haben?
An meiner Tante Elisabeth sieht man, was geschieht, wenn man sich nicht auseinandersetzt. Sie hatte sich völlig herausgezogen, so lange, bis sie plötzlich durch den Film »Die Manns - Ein Jahrhundertroman« mit der Familie konfrontiert wurde. Das hat ihr nicht gut getan. Eine Tochter von ihr behauptet immer, dieser Film hätte ihr letztendlich das Leben verkürzt. Das war für sie wie eine unkontrollierte Therapie.

In Ihrem Buch »Mein Nidden« folgen Sie Spuren Ihres Großvaters in Nidden auf der Kurischen Nehrung. Thomas Mann hatte dort 1929/30 ein Haus gebaut. Wie kam es zu diesem Buchprojekt?
Als im Juni 2010 das Buch über meine Tante Monika Mann heraus kam, sprach mich die Verlagsleiterin des Mare-Verlags an, ob ich nicht ein Buch über einen Lieblingsort am Meer schreiben möchte. Das kam sehr überraschend. Aber mir fiel mir sofort Nidden ein. Genauso gut hätte ich über einen anderen Ort, am Meer in Brasilien, schreiben können, den Heimatort meiner Urgroßmutter, zu dem ich ein sehr enges Verhältnis habe. Es blieb aber bei Nidden.

Was haben Sie bei Ihren Recherchen über die Wohnorte der Familie Mann erfahren?
In Nidden stellte ich fest, dass fast alle Häuser unserer Familie am Wasser lagen, mit Blick zum Meer oder zu einem See. In der Schweiz sind es zwei Häuser mit Seeblick, in Kalifornien ist es der Meeresblick, und es gibt das kleine Häuschen in Feldafing am Starnberger See, das jetzt von Bäumen verstellt ist. Weiter ist mir deutlich geworden, dass Thomas Mann nicht wusste, dass seine Mutter auch in einem Haus am Meer gelebt hatte. Wie das zustande gekommen ist, ist mir unerklärlich.

Welchen Bezug haben Sie heute zu Nidden?
Man kann sagen, dass ich mir Nidden erobert habe. Als ich dort ankam, war es sehr verregnet. Ich stand vor dem Thomas Mann-Haus und war überhaupt nicht beeindruckt. Aber dann habe ich die Landschaft wirklich kennengelernt, die Dünen, die Wälder, und ich habe verstanden, warum mein Vater Michael Mann in dieser Gegend als Zwölfähriger unglaublich aufgeblüht ist. Gerade deswegen fand ich es schön, mir diesen Ort zu erobern.

Das Interview führten Maren Schuster und Martin Paul

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