Globale Ungleichgewichte

UNCTAD fordert Ende der Sparprogramme

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.
Die globalen Einkommensunterschiede schaden dem Welthandel. Dies ist eine der Schlussfolgerungen im neuen UNCTAD-Jahresbericht.

Zwei Daten nur, aber sie verdeutlichen den rasanten Bedeutungszuwachs der internationalen Handelsbeziehungen für den modernen Kapitalismus: Deutschland wird in diesem Jahr Waren im Wert von weit mehr als einer Billion Euro ausführen - schon fast die Hälfte seiner gesamten Wirtschaftsleistung geht mittlerweile in den Export. Und Chinas Außenhandelsvolumen hat sich seit den 1970er Jahren mehr als vertausendfacht. Aber wo massenhaft Waren exportiert werden, müssen genügend zahlungskräftige Käufer vorhanden sein. Die Abnehmer der Exportschwemme drohen jedoch in der zunehmenden Ungleichheit der globalen Einkommensverteilung unterzugehen.

Der am Mittwoch veröffentlichte Jahresbericht der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) tritt der gerade in Deutschland weit verbreiteten Auffassung entgegen, dass zunehmende Ungleichheit der Einkommensverteilung eine notwendige Voraussetzung für Effizienzsteigerung und Wachstum und damit für einen wachsenden Handel sei. Stattdessen empfiehlt er wirtschaftspolitische Maßnahmen, die der Öffnung der Einkommensschere zwischen Arm und Reich entgegentreten und zugleich das Wirtschaftswachstum fördern. Dem Bericht zufolge wirkt sich eine Konzentration des Volkseinkommens in den oberen Schichten nachteilig auf das Entwicklungspotenzial einer Volkswirtschaft aus, da es die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen schwächt. Wer schon viel hat, kauft relativ wenige Waren - wer wenig hat, gibt nahezu sein gesamtes Einkommen für das alltägliche Leben aus.

Die UNO-Ökonomen um den deutschen Chefvolkswirt Heiner Flassbeck sehen einen langfristigen Trend. Dieser schwächt den Welthandel. Über drei Jahrzehnte habe sich das Einkommensgefälle sowohl zwischen den reichsten und den ärmsten Ländern als auch innerhalb der meisten Länder verstärkt. 1980 entsprach das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen in den 15 reichsten Ländern dem 44-Fachen des Pro-Kopf-Einkommens der 15 ärmsten Länder - trotz der stark gestiegenen Wirtschaftsleistung vieler Länder im Süden beläuft sich der Quotient heute auf das 56-Fache. Auch die Lohnquote, also der Anteil der Löhne am Volkseinkommen, hat in den meisten Industrie- und in zahlreichen Entwicklungsländern während dieser Zeit abgenommen. In Australien, dem Vereinigten Königreich und in den USA ging die Lohnquote um fünf Prozentpunkte zurück; in Frankreich, Deutschland und Irland sogar um zehn Prozentpunkte.

Die Verstärkung des Einkommensgefälles in den letzten 30 Jahren vollzog sich parallel zur Beschleunigung der Globalisierung. Daraus haben viele Ökonomen den Schluss gezogen, dass die Öffnung der Einkommensschere eine unvermeidliche Begleiterscheinung sei. Dem widerspricht der UNCTAD-Bericht: »Regierungen können die Einkommensungleichheit mit Instrumenten der Finanz- und der Arbeitsmarktpolitik sehr wohl in Grenzen halten und sogar reduzieren.« Dies belegten Erfahrungen in einer Reihe von Entwicklungsländern, insbesondere in Lateinamerika. Dort hätten eine Verstärkung der Steuerprogression sowie höhere Staatsausgaben erheblich zur Beschleunigung eines sozial ausgewogenen Wachstums beigetragen.

Die UNCTAD fordert daher ein Ende der Sparprogramme insbesondere in der Eurozone und eine »expansive Wirtschaftspolitik«. Zur Finanzierung schlagen die Autoren unter anderem vor, hohe Einkommen aus spekulativen und anderen gesamtwirtschaftlich »unproduktiven Aktivitäten« erheblich stärker zu besteuern. Einkommen aus »eigentlicher unternehmerischer Tätigkeit« oder Arbeitsleistung, die zur Erhöhung des gesellschaftlichen Wohlstandes insgesamt beitragen, sollten dagegen geschont werden.

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