Schulterschluss mit Kritik
IG-Metall-Vize Detlef Wetzel schrieb eine Autobiografie / SPD-Chef Sigmar Gabriel stellte sie vor
Es war eine Buchvorstellung - und auch ein demonstrativer Schulterschluss. Moderatorin und »Zeit«-Redakteurin Elisabeth Niejahr stellte fest, dass dort zwei Männer sitzen, die noch einen Karrieresprung vor sich haben könnten: der Zweite Vorsitzende der IG Metall, Detlef Wetzel, und SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel. Ersterer hat ein Buch geschrieben und den anderen gebeten, es vorzustellen. Während Wetzel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der nächste Erste Metaller wird, ist in der SPD zwar die K-Frage nicht beantwortet, Gabriel wird es vermutlich aber nicht werden.
Das Buch heißt »Mehr Gerechtigkeit wagen«. Die Anspielung auf Willy Brandts Äußerung »Mehr Demokratie wagen« in seiner Regierungserklärung 1969 ist kein Zufall. Was Wetzel vorgelegt hat, ist eine Autobiografie und ein Geschichtsbuch über die Bundesrepublik nach den 70er Jahren - aus Sicht eines bekennenden Gewerkschafters und SPD-Mitglieds, das seit der Agenda 2010 oft eine Stinkwut auf seine Partei hatte.
Wetzel, 1952 im nordrhein-westfälischen Siegen geboren, entstammt einer Arbeiterfamilie. Er lernte Werkzeugmacher und erkannte früh, dass Beschwerden beim Meister mehr erreichen können, wenn sie von mehreren vorgetragen werden. So kam er zur IG Metall, wurde bald selber Jugendvertreter und blieb seiner Linie, dass es immer auch um Legitimität von Entscheidungen und um die Basis gehe, treu.
Wetzel erzählt eine Geschichte des Niedergangs der Sozialpartnerschaft und des Industrieum- und -abbaus in der alten Bundesrepublik und übt auch Selbstkritik an den manches Mal verkrusteten Strukturen der IG Metall. Die hätten den Wandel nicht immer mit gestaltet, sondern Abwehrkämpfe geführt - ohne zu hören, ob diese den Lebensrealitäten der Mitglieder noch entsprechen; beispielsweise beim Kampf um die 35-Stunden-Woche in Westdeutschland. »Die Gesellschaft krankt an einer unendlichen Dynamisierung der Ungleichheit«, sagte Wetzel. Für ihn befindet sie sich an einer »Zeitenwende«. Es gebe die »historische Chance«, die Übel des Neoliberalismus zu korrigieren.
Ein gutes Beispiel nannte Sigmar Gabriel Wetzels Buch. Es sei für Sozialdemokraten wichtig, denn: »Es zeigt uns, wie diejenigen denken, ohne die es nicht geht, mit denen alleine es aber auch nicht geht«: die »organisierte Arbeitnehmerschaft«, die die SPD in den letzten Jahren manches Mal vor den Kopf gestoßen hat. Auch sei das Buch interessant, weil es zeige, was passieren kann, wenn eine Partei ihre Stammklientel verliert.
Frei von Kritik war die Vorstellung nicht. Während Gabriel die Agenda 2010 verteidigte, sprach Wetzel von einer »völligen Entfremdung« zwischen Gewerkschaften und der SPD, sieht darin indes die Chance, dass die IG Metall nun wieder in der Offensive sei und ohne auf Parteibefindlichkeiten zu achten, die Gesellschaft gestalten könne.
Detlef Wetzel: Mehr Gerechtigkeit wagen: Der Weg eines Gewerkschafters. Hoffmann & Campe 2012, 239 S., 19,99 Euro
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.