Die Schulrebellen von Seifhennersdorf

Eltern trotzen Gericht und Sachsens Behörden

  • Hendrik Lasch, Seifhennersdorf
  • Lesedauer: 3 Min.
In der Lausitz widersetzen sich Eltern von Fünftklässlern der sächsischen Kultusbürokratie. Weil diese in ihrem Ort zwei 5. Klassen nicht zuließ, organisieren sie selbst den Unterricht.

Wären die Flure im Schulhaus nicht so leer, die Englischstunde in der Mittelschule Seifhennersdorf würde wie regulärer Unterricht wirken: 22 Fünftklässler lernen gerade die Uhrzeit. Sie sind freilich die einzigen Schüler im ganzen Haus. Die Sportbestenliste im Flur ist sechs Jahre alt. So lange etwa steht die Mittelschule schon auf der Kippe. Der Schulnetzplan des Landkreises sieht ihre Schließung vor; die Sechst- und Siebtklässler fahren schon täglich in Nachbarorte.

Dahin sollen auch die 22 Fünftklässler fahren, ginge es nach den Kultusbehörden. Sie widerriefen nur Tage vor Schuljahresbeginn die Entscheidung aus dem März, wonach zwei 5. Klassen eingerichtet werden. Grund: Von zunächst 40 gemeldeten Schülern gingen zwei doch noch zum Gymnasium; die 38 verbliebenen sind zwei zu wenig. Das Land strich das Geld für Lehrer - und kippte damit die Klassen.

Strafen angedroht

Was in Hunderten anderen Fällen in Sachsen zähneknirschend hingenommen wurde, löste in Seifhennersdorf eine Rebellion aus. Statt sie in die zugewiesenen Schulen zu schicken, lassen die Eltern ihre Kinder in der leeren Schule unterrichten - von pensionierten Lehrern oder Fachkräften aus Tschechien. Der Unterricht »findet im vollen Umfang statt«, sagt Katrin Erler, deren zehnjähriger Sohn »bessere Noten als je zuvor hat«. Die Kinder stehen wie ihre Eltern hinter dem Aufstand, ergänzt Renate Arlandt: »Wir reden jeden Abend darüber, ob wir weitermachen sollen.« Ihre Tochter will, sagt sie: »Sie hat sich nun einmal diese Schule ausgesucht.«

Die Eltern wissen, dass ihr Vorgehen heikel ist. Die Entscheidung der Behörde hat ein Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Bautzen erhärtet. Formal, so Arlandt, »fehlen unsere Kinder unentschuldigt im Unterricht«. Den Eltern drohen happige Geldstrafen. Sie nehmen das in Kauf: »Angst vor der Obrigkeit haben wir nicht mehr«, sagt Arlandt. Vielmehr sei man erbittert über die Sturheit der Behörden. Demzufolge gilt ein Moratorium für Schulschließungen, das in Sachsen eigentlich beschlossen ist, in Seifhennerdorf nicht - weil der Schulnetzplan die Schließung vorsieht. Die Kultusministerin Brunhild Kurth wiederum will sich nicht mehr an ein Versprechen vom Tag ihrer Vereidigung erinnern, wonach die 5. Klassen sicher seien.

Arroganz schürt Protest

Im Ort findet die Rebellion viel Unterstützung. Aus der Schule komme der Nachwuchs für Jugendfeuerwehr und Vereine; auch die Betriebe erhofften sich Lehrlinge, sagt Wolfgang Matitschka, der 30 Jahre lang Direktor der Schule war. Zudem sei eine kleine Mittelschule im Wohnort für die Förderung der Kinder besser als ein großes Haus mit langen Schulwegen, sagt er.

Ähnlich argumentiert die Bürgermeisterin. Nötig sei eine »hochwertige Förderung für die wenigen Kinder, die noch hier sind«, sagt Karin Berndt, Rathauschefin in dem Ort, der einst mit knapp 10 000 Einwohnern Sachsens größtes Industriedorf war und heute nur mehr 3900 Bürger zählt. Viele Textilbetriebe sind zu, Läden geschlossen, Häuser leer. »Wir vergreisen«, sagt Berndt und merkt an, die Landespolitik müsste sich besonders kümmern um eine solche Region, »in der viele Leistungsträger abgewandert sind«. Statt dessen registriert sie »Arroganz und Desinteresse«. Das, fügt sie an, »bewirkt Widerstand«.

Eine Lösung, bei der alle Seiten ihr Gesicht wahren können, ist nicht in Sicht. Der Landrat, sagen die Eltern, habe ihnen nur angeboten, den Schülertransport zu optimieren, nicht aber, den Schulnetzplan zu korrigieren. Bis Ende nächster Woche herrsche »Burgfrieden«. Für Mittwoch hat die LINKE das Thema im Landtag auf die Tagesordnung gesetzt.

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