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Geldwetter

In den Nachrichten gibt es wenige feste Rubriken. Dazu gehören die Börse und das Wetter. Beides steht meistens am Ende der Sendung, und das passt insofern ganz gut, als dass die Sprache der Meteorologen nicht selten ins Börsenfach hinüberschwappt. Die Konjunktur kühlt sich ab, hört man dann etwa; das Wirtschafts- oder Konsumklima wird in den nächsten Tagen rauer, meldet jemand mit besorgter Miene vom Börsenplatz Frankfurt. Hochs und Tiefs werden angekündigt, und in schöner Abhängigkeit davon hellt sich die Stimmung der Wirtschaft oder der Verbraucher auf oder trübt sich ein. Manchmal könnte man beinahe glauben, die Börsenreporter seien bei Jörg Kachelmann angestellt.

Das sind nette Metaphern, mit denen die Börsenreporter hantieren, und es sind gleichzeitig Trugbilder. Denn es wird unterschwellig der Anschein erweckt, als handele es sich nicht um von Menschen verursachte Vorgänge, sondern um Naturereignisse, gegenüber denen man machtlos ist (obwohl heutzutage sogar bei Klima und Wetter die Menschen ihre Finger im Spiel haben, mit verheerenden Auswirkungen). Das Ganze erhält den Anschein des Unausweichlichen, bei dem der Mensch bestenfalls ein klein wenig mitspielen kann – wie es auch schon bei Unworten wie Rentnerschwemme und Asylantenflut der Fall war. Wenn Menschen in den Börsennachrichten vorkommen, dann vorzugsweise als Anleger, was einigermaßen seriös klingt. Von Spekulanten hat man in diesen Nachrichten noch nichts gehört, obwohl die Anleger genau das sind: Sie spekulieren auf Kursgewinne, mal kurz-, mal längerfristig, oft auch auf Verluste. Häufig führen die Spekulanten Verluste in erheblichen Größenordnungen selbst herbei.

Das alles wird durch die Wettermetaphorik verniedlicht; dabei ist die Lage im Bankensektor und auf den Finanzmärkten so ernst, dass selbst jemand wie Peer Steinbrück – kein Linker; eher ein Neoliberaler der, sagen wir, Soft-Version – jetzt die großen Banken nach klassischem Geldgeschäft und Investment, also Spekulation, trennen will. Das ist zu einem guten Teil Wahlkampftheater, aber gewiss steckt auch die Erkenntnis darin, dass ein bestimmtes Maß an staatlicher Regulierung eben doch sein muss.

Für die Spekulanten verdüstert sich das Klima angesichts solcher Bekundungen natürlich, sie reagieren auf solche Absichten genau so allergisch wie „die Märkte". „Die Märkte" sind ja inzwischen eine Art Überinstanz, die dank der leidigen Ratingagenturen immer größeren Einfluss erlangen. „Die Märkte" wollen gehätschelt werden von der Politik, weshalb die Politik bei ihren Entscheidungen immer öfter einkalkuliert, was „die Märkte" wohl sagen werden. Die ganze jahrelange Eurorettung wird letztlich von „den Märkten" diktiert und nur an ihren Interessen ausgerichtet. „Die Märkte", die ja nichts weiter sind als die Finanzmärkte, also die Spekulanten, passen genau auf, zehntelsekundengenau. Als neulich das Bundesverfassungsgericht sein Urteil über den Euro-Rettungsschirm verkündete, schnellten die Börsenkurse genau in dem Moment nach oben, in dem Gerichtspräsident Vosskuhle sagte, dass der ESM verfassungskonform ist. Da herrschte gutes Klima, denn die Banken sahen sich abgesichert.

Das Wetter wird wohl weiter den Schlusspunkt der Nachrichten bilden. Die Börse aber rückt irgendwann vielleicht an den Anfang, als Leitnachricht sozusagen. Konsequent wäre es, und der private Nachrichtensender n-tv lässt ja die aktuellen Börsenkurse schon seit langem ständig parallel zu den Nachrichten über den Bildschirm laufen.

Und auch andere Entwicklungen sind denkbar. Warum sollen die Börsen nicht ähnlich wie die Meteorologen der Freien Universität Berlin den Hochs und Tiefs Namen geben? Und warum sollen sie diese Namen nicht meistbietend versteigern? Dann könnte sich Peer Steinbrück beispielsweise für nächstes Jahr ein Hoch kaufen – und wenn er Glück hat, liegt das Börsenhoch Peer kurz vor der Bundestagswahl. Vorher allerdings müsste er nur noch Kanzlerkandidat werden. „Die Märkte" werden vor ihm nicht all zu viel Angst haben und sich von ihm nicht die Stimmung eintrüben lassen. Und er wird ihnen das Klima bestimmt nicht verderben.

Und nun: das Wetter.
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