Wenig Chance, viel Risiko

  • Heiner Monheim
  • Lesedauer: 4 Min.
Prof. Heiner Monheim, 66, lehrte Raumentwicklung und Landesplanung an der Universität Trier, betreibt das Verkehrsplanungsbüro raumkom und hat vorher lange in der Bundesraumordnungspolitik und Landesverkehrspolitik NRW gearbeitet.
Prof. Heiner Monheim, 66, lehrte Raumentwicklung und Landesplanung an der Universität Trier, betreibt das Verkehrsplanungsbüro raumkom und hat vorher lange in der Bundesraumordnungspolitik und Landesverkehrspolitik NRW gearbeitet.

Die Verabschiedung der Liberalisierung der Fernbusverkehre in Deutschland öffnet die Tür für eine gefährliche Eigendynamik, an deren Ende wie in vielen Ländern mit langer Fernbuserfahrung eine dezimierte Bahn und ruinierte Systemqualität des öffentlichen Verkehrs stehen könnte. Es ist in keiner Weise geregelt, wie man die nötige Systemqualität (Tarifintegration, Informationsintegration, Festlegung der Fernbusbahnhöfe an öffentlichen Verkehrsknoten, Durchtarifierung) sichern und wer die dafür nötigen Investitionen bezahlen soll. Es reicht eben nicht, ein paar Busse fahren zu lassen und zu hoffen, mit Dumpingpreisen ließe sich der Markt aufrollen und der Rest werde sich schon finden. Es fehlt ein Gesamtverkehrskonzept, mit dem Bund und Länder die Rolle der Fernbusse im öffentlichen Verkehr sinnvoll festlegen, auch im Verhältnis zur Fernbahn.

Befürchten muss man einen massiven Verdrängungswettbewerb zu Lasten der Bahnen mit mittel- und langfristigen Entzugseffekten des bahnseitigen Nachfrage- und Umsatzvolumens und daraus resultierend neuerliche Wellen von Angebotseinschnitten (Fahrplanangebot, Streckennetz) wie zuletzt durch die Zerstörung des Interregios.

Die »Bus-Schiene-Diskussion« hat in Deutschland eine lange Tradition. Sie betraf bislang vor allem den ÖPNV und hier die sogenannten Bus-Parallelverkehre, mit denen wegen fehlender regionaler Gesamtverkehrskonzepte der Bahn erhebliche Potenziale abgenommen wurden, was dann oft in ländlichen Regionen zu Bahnstilllegungen führte. Die Nahverkehrsgesetze der Länder sollten solche Parallelverkehre verhindern, aber oft genug finden sie trotzdem statt. Aus dieser schlechten Erfahrung resultiert immerhin der Versuch, den Fernbussen eine Konkurrenzierung des Nahverkehrs zu untersagen. Was dann in der Praxis geschieht, wer »mit Stoppuhr und Metermaß« die Fernbusse kontrolliert, bleibt offen. Aber die Konkurrenz zur Fernbahn ist ausdrücklich gewollt.

Die in der deutschen Verkehrspolitik weit verbreiteten Bahnskeptiker sind immer noch vom Monopolisten- und Staatsbahnfeindbild besessen. Sie halten die Bahn im Fernverkehr für unattraktiv, teuer, unflexibel und letztlich bis auf wenige Hauptkorridore entbehrlich. Priorität hat bei ihnen die Straße und weil man eh nicht viel für den öffentlichen Verkehr übrig hat, soll der Bus den letzten Rest erledigen. Die Bahn hat mit ihren Stilllegungsorgien der letzten Jahrzehnte selbst viel zu dieser Bahnskepsis beigetragen, indem sie viele Städte vom Fernbahnanschluss abgehängt hat. Die betroffenen Oberbürgermeister und Landräte suchen jetzt ihr Heil in neuen Fernbusverbindungen, die ihnen wieder Anschluss an den Fernverkehr bieten.

Die neoliberalen Wettbewerbsverehrer versprechen sich von der Zulassung eines weiteren Anbieters positive Effekte im Preisgefüge und verweisen auf die Analogie zur Telekommunikation. Danach könnten Private alles besser als Öffentliche und Wettbewerb führt immer zu günstigeren Preisen. Allerdings hat diese Argumentation in den letzten Jahren durch das Fiasko diverser Stadt- und Wasserwerksprivatisierungen und dubioser Cross-Border-Finanzierungen einen ziemlichen Knacks erhalten. Doch viele Wirtschaftsliberale wollen mit großer Lust die Bahn als »monopolartiges« Großunternehmen in die Knie zwingen und dabei hilft ihnen die Fernbusliberalisierung.

Im weltweiten Kontext spielen Fernbusse vor allem da eine Rolle, wo die Bahnsysteme früh marginalisiert wurden. Klassiker hierfür sind die USA mit ihrer Mini-Personenbahn und ihrem gut ausgebauten Greyhound-System. Aber auch in Schweden und Norwegen folgte der Ausbau der Fernbussysteme einem langen Stilllegungsvorlauf der Bahnen.

Wie soll man das Thema aus Energie-, Effizienz- und Klimaschutzgründen bewerten? Führt ein liberalisierter Fernbusmarkt zu einer massiven Marktanteilssteigerung im öffentlichen Verkehr? Kommt dadurch die dringend nötige Reduzierung des Autoverkehrs? Die Antwort muss unter den derzeitigen Bedingungen lauten: Nein! Eine ungeregelte Binnenkonkurrenz mit intensiver Rosinenpickerei verhindert die Verkehrswende. Wenn sich zwei streiten, freut sich der Dritte - in diesem Fall der Autoverkehr und der Straßenbau. Endlich gibt es wieder Gründe für immer neue Straßenprojekte. Diese Entwicklung verhindert, dass die Schiene ausgebaut wird.

In Ländern mit traditionell gut entwickelten Bahnsystemen haben Fernbusse immer nur eine kleine Nischen- und Ergänzungsfunktion, sie operieren auf Relationen und in Zeitlagen, in denen der Schienenverkehr keine attraktiven Angebote macht. Das galt auch lange für die internationalen Fernbuslinien aus Deutschland in die Heimatländer der Migrantenbevölkerung, ebenso für die Regio-Buslinien und Schnellbuslinien mancher deutscher Regionen, die wie Schienenersatzverkehr konzipiert wurden.

Guter öffentlicher Verkehr muss viele, differenzierte Elemente zu einem attraktiven Gesamtsystem verknüpfen, mit einem integrierten Taktfahrplan, einem integrierten Tarif, einem gemeinsamen Marketing und einer klaren Kooperationsstruktur. Unter diesen Bedingungen könnten auch Fernbusse als Ergänzung einen sinnvollen Platz finden. Doch von einer Gesamtverkehrsplanung hat sich Deutschland gerade wieder mehr entfernt. Die Teilsysteme operieren isoliert und konkurrierend. Der Deutschlandtakt rückt in weite Ferne.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal