Aasgeier über dem Neckermann-Gelände

Versandhändler wird endgültig zerschlagen / Schlechte Chancen für Entlassene

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.
Neckermann ist Geschichte, tausende Jobs ebenfalls. Freitag war der letzte Arbeitstag beim Versandhändler.

Trauer, Verzweiflung und Schockstarre auf dem Frankfurter Neckermann-Gelände. Es war ein schwarzer Freitag für die »Neckermänner« und der letzte Arbeitstag für die meisten der gut 2000 Beschäftigten des traditionsreichen Versandhauses. Auch rund 250 Beschäftigte im Logistikzentrum Heideloh (Sachsen-Anhalt) sowie etwa 250 Call-Center-Angestellte im türkischen Istanbul verlieren ihre Jobs. Nur wenige Versand-Mitarbeiter können auf eine befristete Weiterbeschäftigung im Abwicklungsteam hoffen.

Nachdem am Donnerstag der letzte von mehreren Dutzend Kaufinteressenten abgesprungen war, gab es keine Alternative mehr zur Abwicklung. Im Juli hatte die Geschäftsführung Insolvenzantrag gestellt, nachdem der US-amerikanische Finanzinvestor Sun Capital als Eigentümer keine weiteren Mittel zur Verfügung gestellt hatte. Sun Capital hatte Neckermann nach der Pleite des KarstadtQuelle-Nachfolgers Arcandor 2010 vollständig übernommen.

Man habe trotz größter Bemühungen keinen Investor für eine Fortführung des Unternehmens gewinnen können, hieß es in einer Mitteilung der Insolvenzverwalter. Die Interessenten hätten das mit den notwendigen Investitionen in zweistelliger Millionenhöhe verbundene Risiko gescheut. »Wir haben bis zum Äußersten gekämpft, leider vergeblich« beteuerte Frankfurters Wirtschaftsdezernent Markus Frank (CDU).

Für die Belegschaft endet das monatelange Wechselbad der Gefühle mit der traurigen Gewissheit, dass besonders die Älteren unter ihnen kaum eine Chance auf eine gleichwertige Stelle haben. Am Wochenende läuft das Insolvenzgeld der Bundesagentur für Arbeit aus. Nun müssen sich viele auf längere Erwerbslosigkeit und ein Abrutschen in Hartz IV einstellen.

Im Versand- und Logistikbereich waren viele Schwerbehinderte und Menschen ohne Berufsabschluss beschäftigt, darunter auch etliche mit Migrationshintergrund, so der Frankfurter ver.di-Sekretär Wolfgang Thurner. Weil sich die arbeitssuchenden Ex-Neckermann-Beschäftigten im Raum Frankfurt konzentrierten, seien ihre Jobchancen noch schlechter als bei den früheren Angestellten der Drogeriekette Schlecker, befürchtet der Gewerkschafter.

Betriebsrat und ver.di hatten sich monatelang gegen den drohenden Untergang gestemmt und ein Alternativkonzept für die Fortführung des Betriebs vorgelegt. Darin schlugen sie einen Umbau zum Onlinehändler mit Printunterstützung und die Neuorganisation des Textilsortiments vor. Ebenso hätten vorhandene Versandkapazitäten und Logistikanlagen durch eine Öffnung für andere Textilketten besser ausgelastet werden können, so die Gewerkschafter, die sich auf Branchenkenner und Insiderwissen stützten. Mit ihren Ideen, die vielen Beschäftigten die Chance auf Weiterarbeit gegeben hätte, stießen sie bei Geschäftsleitung und Eigentümer aber auf taube Ohren. Nach ergebnislosen Verhandlungen streikten im Juni Beschäftigte für einen Sozialtarifvertrag, angemessene Abfindungen bei Arbeitsplatzverlust sowie Qualifizierungsmaßnahmen im Rahmen einer Transfergesellschaft.

Grund zur Hoffnung haben derzeit nur die rund 80 Beschäftigten der auf Damenmode in Übergrößen spezialisierten Neckermann-Tochter »Happy Size«. Ihre Firma wurde vom Pforzheimer Versandhaus Klingel übernommen und soll in Frankfurt weitergeführt werden. Was im Rahmen der anstehenden Zerschlagung und Ausschlachtung aus anderen Betriebsteilen wird, ist ungewiss. »Die Aasgeier kreisen schon über dem Neckermann-Gelände«, brachte es ein Insider am Freitag gegenüber »nd« auf den Punkt: »Sie sind gierig auf Reste und Anlagen, nicht aber auf die Erhaltung der Arbeitsplätze.«

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