Alexandre Dumas der Ältere; die Gebeine des Schöpfers der Romane »Der Graf von Monte Christo« und »Die drei Musketiere« werden an diesem Sonnabend feierlich in den französischen Ruhmestempel, ins Pariser Panthéon, gebracht.
Vor wenigen Tagen wurde in der 100 Kilometer nordöstlich von Paris gelegenen Kleinstadt Villers-Cotterêts das Grab von Alexandre Dumas père geöffnet. Am gestrigen Freitag verließ der Sarg mit seinen sterblichen Überresten die Geburtsstadt des Schriftstellers. Die Fahrt ging zunächst nach Marly-le-Roy, einem am hügligen Ufer der Seine gelegenen Villenvorort westlich von Paris. Hier, in seinem »Schloss des Grafen von Monte Cristo«, wurde der Sarg über Nacht aufgebahrt, bevor er seinen weiteren Weg antreten sollte: auf einem Schiff die Seine aufwärts nach Paris, wo er am heutigen Sonnabend in einer feierlichen Zeremonie ins Panthéon geleitet wird.
Frankreich ehrt den Schriftsteller aus Anlass seines 200. Geburtstages, der am 24. Juli begangen wurde. Doch zu diesem Zeitpunkt hatte der gerade wiedergewählte Präsident Jacques Chirac keine Zeit, und so wurde die Feier auf den Herbst verschoben. Die Entscheidung, wer ins Panthéon kommt, steht dem Staatspräsidenten zu, der meist nach politischem Kalkül urteilt. Die letzten Persönlichkeiten, die in die Ruhmeshalle kamen, waren 1995 Marie Curie und ihr Mann Pierre und 1996 André Malraux, Schriftsteller und Kulturminister von Charles de Gaulle, was nicht zuletzt als Geste von Präsident Jacques Chirac an den General und die historischen Gaullisten verstanden wurde. Unter den bisher 72 im Panthéon beigesetzten Persönlichkeiten finden sich sehr viele Präsidenten und Generale und nur fünf Schriftsteller: außer Malraux noch Voltaire, Rousseau, Hugo und Zola.
Es verwundert schon etwas, wenn jetzt ausgerechnet ein konservativer Präsident einem linken Schriftsteller und Franzosen ausländischer Herkunft Eingang ins Panthéon gewährt. Chirac kann derart Dumas für sich vereinnahmen, von dem er sagt: »Er kämpfte gegen Vorurteile, Rassismus, Intoleranz und gegen die Todesstrafe. Damit hat er sich für Ideale eingesetzt, die sehr modern sind und dem Bild entsprechen, das Frankreich heute von sich vermitteln will.«
Das Panthéon als Ruhmeshalle der Nation geht auf einen Beschluss des Revolutionsparlaments von 1790 zurück. Die ersten, die hier Eingang fanden, waren Mirabeau und Marat. Dass jetzt Alexandre Dumas diese Ehre zuteil wurde, ist eine späte Würdigung und Wiedergutmachung. Der Vater der »Drei Musketiere«, des »Grafen von Monte-Christo« und vieler anderer historischer Mantel-und-Degen-Romane, war im Frankreich des 19. Jahrhunderts der beliebteste Autor und er ist heute weltweit der am meisten gelesene französische Schriftsteller. Doch den Literaturexperten seiner Heimat, die prinzipiell Vorbehalte gegen Bestsellerautoren haben, war so viel Erfolg in höchstem Maße suspekt. Über Jahrzehnte galt er ihnen als unseriöser Vielschreiber. Dumas selbst hätte das nicht übel genommen. Er hat sich immer dagegen gesträubt, als Literat betrachtet zu werden. Wichtiger war ihm, gelesen zu werden.
Claude Schopp, in Frankreich der beste Kenner des Lebens von Alexandre Dumas und Herausgeber vieler seiner Werke, erzählt, dass ihm in den 60er Jahren ein Mitglied der Jury, vor der er seine Doktorarbeit zu verteidigen hatte, verächtlich sagte: »Sie müssen ja viel Zeit zu ver-schwenden haben, wenn sie sich mit Dumas beschäftigen.« Jahrzehntelang gehörte der Schriftsteller nicht einmal zum Literaturprogramm der Gymnasiasten. Doch in den letzten 20/30 Jahren hat es eine Neubesinnung auf Alexandre Dumas gegeben. In dessen ausufernden Werk - Dumas hinterließ 25 Bände mit Theaterstücken und 250 Bände mit Romanen - fand man unter vielen mittelmäßigen, schnell heruntergeschriebenen Texten echte literarische Perlen. Heute schätzt man Alexandre Dumas neben Honoré de Balzac als den größten französischen Romancier des 19. Jahrhunderts und hinsichtlich seines Stils stellt man ihn auf eine Stufe mit Stendal.
Einem spannendem Roman gleicht auch die Familiengeschichte von Alexandre Dumas. Sein Vater, ein bei Napoleon in Ungnade gefallener General der Revolution, war der uneheliche Sohn des Marquis Davy de La Pailleterie, der als Siedler in der französischen Antillen-Kolonie San Domingo, dem späteren Haiti, gelebt und dort mit seiner Haussklavin Marie Cassette eine Liason hatte. 1784 war der junge Thomas Alexandre Dumas nach Frankreich gekommen und hatte durch seinen draufgängerischen Mut schnell Karriere gemacht, war jedoch als selbst bewusster Mulattengeneral anderen Offizieren in Napoleons Umfeld von Napoleon ein Dorn im Auge. Zudem hatte er sich gegen die Wiedereinführung der 1792 vom Revolutionsparlament abgeschafften Sklaverei in den Kolonien 1802 empört. Der Bruch war unvermeidlich. Ohne Pensionsansprüche lebte die Familie fortan auf Kosten der Schwiegereltern, die in Villers-Cotterêts eine Herberge besaßen, in der der General Jahre zuvor seine bildhübsche Frau Anne-Louise kennengelernt hatte. Auch der junge Alexandre Dumas, dem sein Vater einen dunklen Teint und stark gekräuselte Haare vererbt hatte, bekam Zeit seines Lebens immer wieder Vorurteile und Rassismus zu spüren. Dagegen bäumte er sich mit Stolz und Ehrgeiz auf.
Mit 14 wurde er Laufbursche im Büro eines mit der Familie befreundeten Notars. Als er 21 war, stellten ihn ehemalige Freunde des Vaters in Paris dem liberalen Herzog von Orléans und späteren »Bürgerkönig« Louis Philippe vor. Der prüfte die Fähigkeiten und Kenntnisse des jungen Mannes, die noch mehr als bescheiden waren. Doch der zur Hilfe durchaus bereite Herzog machte ihn kurzerhand zu einem der Kopisten seines Sekretariats. In dieser Funktion musste Dumas viele Stunden des Tages präsent sein, doch hatte er wenig zu tun, so dass er die Zeit und die reiche Bibliothek des Herzogs nutzen konnte. Er besuchte die literarischen Salons der Hauptstadt, wo er durch seinen geistreichen Witz auffiel. Er machte die Bekanntschaft von Victor Hugo, Gérard de Nerval, Théophile Gautier, Alfred de Vigny, George Sand und Charles Nodier.
Alexandre Dumas hatte viel Erfolg bei den Frauen, die von seinem etwas exotischen Äußeren und seinem »afrikanischen Blut« angezogen wurden. Verheiratet war er nur einmal; die Ehe mit der Schauspielerin Ida Ferrier hielt lediglich vier Jahre. Er hatte zeitlebens Mätressen. Der Bekanntschaft mit der Näherin Laure Labay, die nur einen Abend dauerte, entsprang sein 1824 geborener und von ihm nach sieben Jahren und einem Prozess endlich anerkannter Sohn Alexandre, den man in der Literaturgeschichte zur Vermeidung von Verwechslungen Alexandre Dumas fils nennt und von dem unter anderem der romantisch-verklärte Roman »Die Kameliendame« stammt.
Alexandre Dumas d.Ä. wollte »das Drama Frankreichs von Karl VI. bis zu unseren Tagen« schreiben, und tatsächlich hat er es wie kein anderer Autor verstanden, Geschichte nacherlebbar zu machen und das kollektive Gedächtnis der Franzosen zu prägen. »Geschichte ist der Nagel, an dem ich meine Romane aufhänge«, sagte Alexandre Dumas. Ob Personen, Orte und Handlungen exakt der Wirklichkeit entsprachen, war ihm dabei nicht so wichtig.
Bald konnte Dumas die vielen Aufträge für weitere Romane nicht mehr allein bewältigen. Zeitweise beschäftigte er mehrere anonyme Schreiber. Sein engster Mitarbeiter war der Historiker und »Figaro«-Journalist Auguste Maquet, dessen Grab auf dem Pariser Friedhof Père-Lachaise zu Recht mit den Titeln zahlreicher Dumas-Romane geschmückt ist.
Eine Reise in die französischen Kolonien in Nordafrika, die er auf Anregung und Kosten des Außenministeriums unternahm, das sich davon einen Imagegewinn versprach, führte sogar zu einer hochpolitischen Debatte im Parlament. Während der Revolution 1830 stand er mit dem Gewehr in der Hand auf den Barrikaden der radikalsten Republikaner, obwohl er zu jener Zeit noch im Dienst des Herzogs von Orléans und späteren »Bürgerkönigs« Louis Philippe stand, dessen Anerkennung ihm wichtig war und mit dessen Sohn ihn eine enge Freundschaft verband.
In den folgenden Jahren nahm ihn die Literatur ganz gefangen, doch als 1848 die Revolution ausbrach und erneut die Monarchie stürzte, war Dumas als Offizier der Bürgergarde dabei. Als sich die neue Republik konstituierte, wollte er sich sogar politisch engagieren und er kandidierte bei den Parlamentswahlen. Das magere Ergebnis von nur 0,11 Prozent der Stimmen ließ ihn schnell wieder darauf verzichten. Doch sein Sinn für Gerechtigkeit und Freiheit blieb wach. So trat er öffentlich für die aufständischen Seidenweber von Lyon ein. 1860 engagierte er sich für den Befreiungskampf der Italiener, er besuchte Neapel und Sizilien, kam mit Guiseppe Garibaldi zusammen, kaufte für dessen Truppen für 50000 Francs Gewehre und gab für seinen Freund die französisch-italienische Zeitung »L'indépendant« heraus. Seine antimonarchistische und progressive Gesinnung nahmen ihm viele zeitgenössische Kollegen übel und so wurde Dumas bei seinen wiederholten Kandidaturen für die Académie française immer wieder abgewiesen.
»Das ist kein menschliches Wesen, sondern eine Naturerscheinung«, sagte der Historiker Jules Michelet, der mit ihm befreundet war. Dumas war lebenslustig und trinkfest, ein beleibter Genießer, der Rezepte sammelte und auf Reisen die Küche und die Produkte der besuchten Länder studierte. In seinen letzten Lebensjahren arbeitete er an einem gastronomischen Lexikon, dem »Grand Dictionnaire de la cuisine«, das nach seiner festen Überzeugung das wichtigste Werk seines Lebens werden sollte. Es erschien erst drei Jahre nach seinem Tod, herausgegeben durch Anatole France. Unter Fachleuten wird es heute als wichtige Quelle zu den Kochgewohnheiten des 19. Jahrhunderts geschätzt.
In seinen letzten Jahren war Dumas wieder viel auf Reisen: Österreich, Italien, Deutschland, Spanien. Nach einem Schlaganfall im Spätsommer 1870, der ihn weitgehend lähmte, ließ sich Alexandre Dumas zu seinem Sohn bringen, der an der Kanalküste unweit von Dieppe lebte. »Ich komme, um zu sterben«, verkündete er ihm. Drei Monate später, am 5. Dezember 1870, war es soweit. Provisorisch wurde er am Ort bestattet. Durch den Krieg mit Preußen standen zu dieser Zeit feindliche Truppen in seiner Heimatstadt Villers-Cotterêts, so dass er erst im April 1872 überführt und dort beigesetzt werden konnte, wie es seinem Wunsch entsprochen hatte. Genau darauf haben sich jetzt die Einwohner berufen und lange gegen die Überführung ins Panthéon protestiert. Doch sie gaben schließlich ihren Widerstand auf, nachdem das Kulturministerium versprochen hat, das 1942 von den deutschen Besatzern abgebaute und eingeschmolzene Dumas-Denkmal originalgetreu wieder errichten zu lassen und das Schloss Villers-Hélon, das seinerzeit dem Vormund von Alexandre Dumas gehörte und wo er sich oft aufgehalten hat, auf Staatskosten zu restaurieren und für einen kulturellen Zweck zu nutzen.
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