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Antifaschismus und Stalinismus: Zum Beispiel Friedrich Wolf

  • Lesedauer: 5 Min.

Klima der Hysterie und Verfolgungsmentalität gegenüber angeblichen „Schädlingen“ und „Agenten des Imperialismus“ gefördert.

Selbst die späteren Opfer des Stalinismus unterlagen fast ausnahmslos dieser Freund-Feirid-Psychose, glaubten beispielsweise 1937 der These von einer faschistischen „Militärverschwörung gegen Stalin“ durch äußere und innere „Feinde der Sowjetunion“' –; und nahmen, wie u.a. den 1$ Jahre unschuldig in Haft gehaltene Kommunist Helmut Damerius von der „Kolonne Links“, über Jahrzehnte irrtümlich an: „Die einzige Erklärung, die es für mich und einen gro-ßen Teil meiner Leidensgenossen damals gab, war: Stalin und die Partei wissen von all den ungeheuerlichen Ungesetzlichkeiten nichts“ Daß in dieser Atmosphäre der auch in der sowjetischen Öffentlichkeit tagtäglich spürbaren Massenhysterie Denunziationen und Gegen-Denunziationen sowie Unterschriften unter Ergebenheitsadressen an Stalin als dem höchsten Repräsentanten der gegen „Feinde“ zu verteidigenden Sowjetunion an der Tagesordnung waren, erklären auch amerikanische Exilforscher wie David Pike aus der damaligen Lage heraus: „Bei der Atmosphäre in der UdSSR und der Bedrohung durch Nazi-Deutschland war es zumindest zu Beginn der Säuberungen verständlich, daß viele Deutsche keinerlei Zweifel hatten, daß es Nazi-Spionen gelungen war, in die Reihen der Deutschen in der UdSSR einzudringen.“

Auch die deutschen Schriftsteller im sowjetischen Exil unterlagen spätestens ab Mitte 1936 dem unter der Parole „revolutionäre Wachsamkeit“ seit Gründung der „KI“ zwar latent immer vorhanden, von Stalin dann aber bis zur Hypertrophie gesteigerten Klima gegenseitigen Mißtrauens und gegenseitiger Verdächtigungen. Wolf war in der Deutschen Sektion des Sowjetischen Schriftstellerverbandes unter deren Leiter Johannes R. Becher – um dessen „ziemlich gestörtes Verhältnis zu Friedrich Wolf“ jeder wußte – ohnehin eine Art Ausgestoßener geblieben und traf wohl auch wegen seines großen Erfolgs auf sowjetischen Bühnen auf viel Neid, Rivalität und Mißgunst. Angesichts wachsender Isolation, schwieriger Kommunikationsbedingungen, alter Animositäten sowie gegenseitiger künstlerischer Vorurteile verbreiteten sich in diesem vergifteten Klima auch im Schriftstellerverband „Cliquenwesen, Intrigen und Verleumdungen“- „Literaturkritik artete in politische Diffamierungen aus“ – und konnte für den Kritisierten lebensgefährlich werden. Unter diesen Moskauer Exilbedingungen gewannen allgemeinmenschliche Probleme zuweilen bedenkliche Ausmaße. Hierfür kann auch die Verleumdung Friedrich Wolfs auf einer Sitzung der Deutschen Schriftstellersektion im Jahre 1937 stehen. So zitiert der Exilforscher David Pike aus einem Bericht Willi Bredels: „Auf die Frage, wer denn Wolf habe 'vernichten' wollen, erwiderte Weinert, Genosse Becher habe ihm hinterher gesagt, Friedrich Wolf solle geschlachtet werden. (Becher bestreitet nicht, dies gesagt zu haben.)“

Wie persönliche Notizen belegen, hatte Wolf während seiner Skandinavien-Reise Ende März 1936 auf

einem Treffen mit Emigranten im heftigen Streit der Befürworter und Gegner des Stalin-Kurses noch zu vermitteln versucht: „Sofort Aufeinanderplatzen der Gruppen. Kritik. 'Willi':...'Kommunismus ist Stalinkult'. Starker Zusammenstoß, von mir gebremst“ In die Sowjetunion zurückgekehrt, muß er sich dann allerdings nach dem Scljauprozeß gegen Pjatakow* Radek, Sokolnikow und andere in einer Geschlossenen Parteiversammlung der Deutschen Kommission des Sowjetschriftstellerverbandes vom 4. bis 8. September 1936 – wie u.a. auch Johannes R. Becher, Hans Günther, Ernst Ottwalt und Georg Lukäcs – gegenüber den Anklagen des Parteiorganisators Alexander Barta, der Mitglied der KPdSU (B) war, und gegenüber bohrenden Nachfragen vor allem durch Heinrich Most (d.i.. Heinrich Meyer. – H.M.) wegen mangelnder „Wachsamkeit“ gegenüber „Parteifeinden“, wegen angeblich mangelhafter politischer Bildung und wegen gesellschaftlicher Inaktivität rechtfertigen und schließlich „Selbstkritik“ üben.

Der „Parteiorganisator“ Barta war schon in seiner Einleitungsrede davon ausgegangen, daß sich in die deutsche Schriftsteller-Kommission „eine ganze Reihe konterrevolutionärer Parteifeinde eingeschlichen“ hätten. Die mehrtägige Sitzung – deren Stenogramm vor kurzem wiederentdeckt wurde – gleicht in ihrer Gefühlskälte und gegenseitigen Schärfe denn auch eher Vernehmungen von Angeklagten als einer Parteiversammlung von Kommunisten und offenbart zusätzlich eine für Schriftsteller erstaunliche Niveaulpsigkeit in Sprache und Argumentation. Jeder verdächtigt hier jeden. Die schweren politischen Angriffe gegeneinander machen schaudern – zumal auch spätere Opfer des Stalinismus wie u.a. Ernst Ottwalt und Hans Günther sich daran beteiligen und wir heute um die Folgen wissen. Besonders tut sich bei diesen politischen Verdächtigungen Hugo Huppert hervor – aber auch sonst wimmelt es nur so von „Versöhnlern“, „Menschewisten“, „Doppelzünglern“, „Parteifeinden“, „Banditen“, Bucharinisten“ und „sinowj ewistisch-trotzkistischen Banden“...

Durchaus typisch für die geistige Revolvermentalität auf dieser Parteiversammlung deutscher Exilschriftsteller ist beispielsweise folgende Äußerung von Georg Lukäcs: „Die Parteifeinde sind früher mit einer bestimmten ideologischen Plattform aufgetreten. Wir konnten analysieren: der Mensch ist ein Bucharinist (Bucharin war 1936 noch in Freiheit! – H.M.), ein Trotzkist usw Die jetzigen Partei^ feinde haben keine Plattform, sondern treten in der Maske parteitreuer Menschen auf. (...) Ich verweise auf den Artikel Sinowjews bei Kirows Tod. Süßkind hat nie Reden gehalten, ohne mit Stalin anzufangen und zu enden. (...) Diese Leute zu entlarven, bedarf es einer komplizierten Wachsamkeit. Es handelt sich um viel raffiniertere Formen.“

Im „Fall Friedrich Wolf“ vermengen sich künstlerische und politische Angriffe. Nach künstlerisch bemäntelter politischer Kritik an seinem Stück „Das Trojanische Pferd“ – über das in der Ko-

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