Mord an Trotzki

Von Wladislaw Hedeler

  • Die Alternative
  • Lesedauer: 3 Min.
Er war bereits schwer krank, als er an diesem, sechsten Band seiner großen Edition arbeitete, mit der er der Frage nachgehen wollte, ob es eine Alternative zu Stalins Innen- und Außenpolitik gegeben hat. Das Fragezeichen, das der vor einigen Jahren verstorbene russische Historiker und bekennende Trotzkist Wadim S. Rogowin setzte, war mehr rhetorisch gemeint. Für ihn stand fest: Es gab sie, doch Stalin hat sie ermordet. Der 1998 in russisch erschienene Band entstand in Zusammenarbeit mit M. W. Golowisnin. Weitere Freunde und Kollegen aus dem In- und Ausland hatten bei der Sammlung und Sichtung des ausgewerteten Materials geholfen. Der Band beginnt mit einer Skizze über den 18. Parteitag der KPdSU(B) im März 1939 und endet mit einem Bericht über die Vorbereitung der Operation »Ente«, d.h. der Ermordung von Leo Trotzki in Mexiko durch NKWD-Agenten. Der siebente Band unter dem Titel »Das Ende ist der Anfang«, faktisch ein Resümee, wird derzeit für die deutsche Veröffentlichung vorbereitet. Rogowin hat eine nicht unumstrittene Geschichtsdarstellung aus trotzkistischer Sicht hinterlassen, die zur Palette der heute in Russland verbreiteten Interpretationen »vaterländischer Geschichte« gehört. Jahrelang schrieb er gegen offizielle, halboffizielle sowie populistische Mythen und Legenden an. Er wollte seine Landsleute für Leben und Werk Trotzkis interessieren. Rogowin war überzeugt, dass »jeder unvoreingenommene Leser erstaunt sein wird, wie nahe an der Wirklichkeit viele Prognosen Trotzkis über den Charakter des künftigen Krieges lagen. Zugleich jedoch ist unstrittig, daß die Hauptvorhersage Trotzkis - der Zweite Weltkrieg werde in eine siegreiche sozialistische Weltrevolution hinüberwachsen - weit von der Realität entfernt war.« Nicht alles, was im Band zur Diskussion gestellt wird, ist für den deutschen Leser neu, kann es auch nicht sein. Von der Öffnung der russischen Archive hat Rogowins Mitautor M. W. Golowisnin profitiert, der die Kapitel über »Stalinismus und Bauernschaft«, »Aufstieg und Fall der POUM«, »Die faschistische Presse über den Pakt« sowie »Die trotzkistische Bewegung in der zweiten Hälfte der 30er Jahre« und die internationalen »Reserven des Trotzkismus« verfasste. In diesen Kapiteln sind u.a. Dokumente aus dem ehemaligen Zentralen Parteiarchiv der KPdSU, dem heutigen Russländischen Staatsarchiv für sozialpolitische Geschichte, verarbeitet. Stalin fürchtete, so eine der Thesen des Buches, dass Trotzkis Vierte Internationale »zu einem gewichtigen Faktor in der politischen Entwicklung in der Welt« werde. Daraufhin befahl der Generalsekretär persönlich die Ermordung des Rivalen, was der Enthauptung der Organisation gleichkam. Pawel Sudoplatow hat im Auftrag von Lawrenti Berija das Attentat vorbereitet. Die Beschreibung dieser blutigen Aktion ist Sudoplatows in Russland veröffentlichten Memoiren entnommen. Mit der Meldung Berijas an Stalin, dass die Operation »Ente« erfolgreich angelaufen sei, bricht der sechste Band von Rogowins Lebenswerk unvermittelt ab.
Wadim S. Rogowin: Weltrevolution und Weltkrieg. Gab es eine Alternative? Bd. 6. Arbeiterpresse-Verlag, Essen. 400S., br., 29,90 Euro

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