Stereotypen in Stein

Auf dem Spremberger Georgenberg eröffnete vor hundert Jahren der Bismarck-Turm eine Art Freilichtmuseum für Gedenkarchitektur. Nach Renovierung wurde er am Dienstag zum zweiten Mal geweiht

  • Velten Schäfer und Bea Dorn, Spremberg
  • Lesedauer: 5 Min.
Geweeeehr über zum Fanfarensignal!« schnarrt der Feldwebel-Darsteller. Er trägt ein Pour-le-Mérite-Ordensimitat an einem historisch verfehlten schwarz-rot-güldnen Bändchen. Ein gutes Dutzend ausgewachsener Spremberger im Rock der altpreußischen Truppen hantiert mit hölzernen Flinten. Bei einigen umstehenden Jugendlichen zieht sich der Mundwinkel nach oben, doch der Rest der 500 anwesenden Bürger des südbrandenburgischen Spreestädtchens folgt der Zeremonie weiterhin mit vollem Ernst. Immerhin wird heute - wir schreiben den 1.April 2003 - anlässlich Otto von Bismarcks 188.Geburtstag der dortige Bismarck-Turm nach seiner Renovierung eingeweiht. »Wir Deutsche fürchten Gott, sonst nichts auf der Welt« steht oben auf den 20 Metern Rotsandstein. Ein Satz, der manchen Halt zu versprechen scheint. In einer ausliegenden Broschüre wird er ausführlich erläutert.
Halb Spremberg hat sich in Schale geworfen an diesem Ehrentag. Wer sich dem Turm zu Fuß durch die Altstadt nähert, trifft unweigerlich auf anlassgerecht geschmückte Schaufenster. Und oben auf dem Georgenberg spielt der Kanu-Club Soldat, die Feuerwehr trägt Pickelhaube und der Bürgermeister Zylinder und Kette. Ein Emissär tritt vor: »Bismarck hat das deutsche Reich so fest gefügt, dass es zwei Weltkriege überstand«, fantasiert Günther Sander vom »Freundeskreis Bismarckturm Herford«. Dem »Größten aller Deutschen« sollten wir heute noch dankbar sein. Applaus. Das Deutschlandlied erklingt.
Der Spremberger Bismarckturm ist kein Unikat, sondern Überbleibsel einer erinnerungspolitischen Großkampagne des späten deutschen Kaiserreiches. »Wie vor Zeiten die alten Sachsen und Normannen über den Leibern ihrer gefallenen Recken schmucklose Felsensäulen auftürmten, (...) so wollen wir unserm Bismarck zu Ehren auf allen Höhen unserer Heimat (...) gewaltige granitene Feuerträger errichten. Überall soll als Sinnbild der Einheit Deutschlands das gleiche Zeichen erstehen, in ragender Größe, aber einfach und schmucklos ... .« 1898, im Todesjahr Bismarcks, rief die Bonner Studentenschaft erstmals zum Bau von Bismarck-Türmen auf. Tatsächlich entstanden zwischen 1898 und dem ersten Weltkrieg in hunderten Städten zu diesem Zweck Honoratiorenvereine und schließlich derartige Mahnmale. 238 davon stehen noch heute. Sie sollten »abseits der Städte an weithin sichtbaren Stellen« gebaut werden, denn die studentischen Gedenkstrategen wollten »mehr mit einer Fern- als einer Nahwirkung« am deutschen Bewusstsein werkeln. Ein Entwurf des Architekten Wilhelm Kreis wurde den Bismarck-Komitees auf Wunsch zugeschickt. In den wenigen Jahren zwischen Jahrhundertwende und Erstem Weltkrieg wurde auf diese Weise ein nahezu flächendeckendes Netz von Bismarcktürmen errichtet. Zu bestimmten Daten wie dem »Sedanstag« oder eben Bismarcks Geburtstag am ersten April wurden sie erleuchtet und zum Endpunkt von Fackelzügen. Der Kunsthistoriker Martin Warnke schreibt dazu: »Die Kette der Bismarcktürme versuchte, die Landschaft für politische Bekenntnisse flächendeckend zu okkupieren. Es ergibt sich dann eine politische Landschaft in einem wörtlichen Sinne; sie ist gar nicht mehr wahrnehmbar ohne die Botschaft jenes politischen Denkmals.« Die abstrakte Einheit der Nation, über alle Klassen- und Konfessionsgrenzen hinweg, sollte sinnlich erfahrbar werden. Die stereotypen Bismarcksäulen waren symbolische Wehrtürme der Obrigkeit im »Kampf um die Köpfe«.
Denn selten war der Appell an »das Deutsche« aus Sicht der Eliten so nötig wie zu dieser Zeit. Das nach Außen hin so muskulöse Reich war in seinem Inneren zerrissen, und die permanente Beschwörung der nationalen Einheit ist nur ein Hinweis auf diese sozialen Verwerfungen. Bis heute wird man bei einer katholischen badischen Bäuerin beim Thema Bismarck eine ähnlich ablehnende Geste beobachten können wie im ostdeutschen Arbeiterbewegungsmilieu. Denn im Süden ließ der Kanzler hunderte Priester drangsalieren und einsperren. Mit den Bismarcktürmen wurde also nicht nur an einen toten Politiker erinnert. Sie waren die gemeißelte Fortführung von Sozialistengesetzen und »Kulturkampf« und weisen bereits in den symbolischen Bürgerkrieg der Weimarer Republik.
Nach der ersten Niederlage des Bismarckreiches wurden die Türme vielerorts zu Treffpunkten der Rechten. Doch selbst innerhalb des nationalistischen Lagers entbrannten um sie symbolpolitische Auseinandersetzungen: Sollten die Türme weiterhin an den Festtagen des verlorenen Kaiserreiches besucht werden? Vielerorts zogen die Studenten und Gesellen nach der neuen völkischen Mode an »germanischen«, gar »heidnischen« Gedenktagen zu den Türmen hinauf. Und nicht an wenigen Säulen fanden schließlich die Siegesfeiern der Nazis statt.
In der Bundesrepublik wurde es nach dem Zweiten Weltkrieg allmählich still um die Bismarcktürme. Heute wissen die meisten gar nicht mehr, dass sich in ihrer Stadt ein solcher befindet. Erst in letzter Zeit ist eine gewisse Renaissance zu verzeichnen - inzwischen gibt es immerhin eine Internet-Seite, die bemüht ist, eine interessierte Öffentlichkeit stets mit allen Neuigkeiten um die steinernen Stereotypen zu versorgen. Auch in der DDR wurde der Kult nicht fortgesetzt - der Spremberger Turm wurde 1952 zuerst in »Thälmann-« und dann in »Georgenbergturm« umgetauft. Und er wurde architektonisch ausgiebig kommentiert: Hinter ihm erinnert heute eine klobige Betonanlage an mehrere Dutzend 1945 getötete Sowjetsoldaten. Und vor dem Turm wurde eine Gedenkstätte für die Spremberger Opfer des Faschismus und 28 namenlose KZ-Tote aus Gosda platziert. Dieses intentionslos gewachsene Ensemble deutscher politischer Gedenkarchitektur des 20. Jahrhunderts ist tatsächlich einen Besuch wert. Im schwarz-weiß-rot geränderten Faltblatt des Fremdenverkehrvereins »Region Spremberg e.V.« fehlt indessen jeder Hinweis auf die jüngeren Mahnmale. Hier werden Touristen ganz andere Weisheiten mit auf den Heimweg gegeben: Bismarck »zeigte deutlich, dass Deutschland in der Lage ist durch eigene Kraft seine Macht geltend zu machen und seine Würde und Besitz zu verteidigen.«
Das Schlusswort aber bleibt auch 2003 dem alten Bismarck vorbehalten: »Meine lieben Spremberger«, sagt er jovial durch den Mund seines Ur-Ur-Neffen Friedrich, »ich betrachte auch einen siegreichen Krieg als ein Übel, das die Staatskunst dem Volk ersparen muss«. Der Eiserne Kanzler sagte dies, so sein Nachfahre, anno 1870. Sechs Jahre nach dem dänischen, vier Jahre nach dem österreichischen und kurz vor seinem nächsten Krieg. Etwaige Parallelen zu amtierenden Kanzlern zeugen von der Ironie der Geschichte.
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