Während die rot-grüne Bundesregierung zur Zeit mit ihrer Anti-Kriegspolitik in Sachen Irak punktet, bekommen konsequente Kriegsdienstgegner weiter die Härte des Gesetzes zu spüren.
Anfang der neunziger Jahre verweigerten Andreas Wieckhorst (32) und Nick Netzler (31), damals beide in der Hamburger Totalverweigerer-Organisation »Die Desertöre« aktiv, Wehr- und Zivildienst. Den so genannten Ersatzdienst lehnen sie aus Gewissensgründen als »Zwangsdienst« ab. Ihre Begründung: Der Dienst sei Bestandteil der Gesamtverteidigungskonzeption, die ein Zusammenspiel von militärischer und ziviler Verteidigung vorsieht. Im Verteidigungsfall könnten Kriegsdienstverweigerer zu »unbefristetem Zivildienst« einberufen werden - Einsatz beim Minenentschärfen hinter der Front nicht ausgeschlossen.
Doch die konsequente antimilitaristische Haltung der Hamburger hat ihren Preis: Wieckhorst wurde jetzt vom Amtsgericht Bergen auf Rügen wegen Dienstflucht zu zwölf Monaten Gefängnis auf Bewährung und 3000 Euro Geldstrafe verurteilt. Der seit Jahren fahnenflüchtige Netzler wurde am 16. März in Stralsund verhaftet und muss eine Reststrafe verbüßen.
Die Vorgeschichte: Der anerkannte Kriegsdienstverweigerer Wieckhorst erklärte 1993: »Die Wehrpflicht gehört abgeschafft.« Mehreren Einberufungen zum Zivildienst folgte er nicht. Das Hamburger Landgericht verurteilte ihn 1995 wegen Dienstflucht zu sechs Monaten Haft ohne Bewährung. Die Richterin sprach ihm eine Gewissensentscheidung ab, was neue Einberufungen und Strafen ermöglichte. Wieckhorst versteckte sich, schloss in der Zeit eine Lehre als Bootsbauer ab.
Ende 1998 flatterte erneut eine Einberufung an seine Tarnadresse, auf die er nicht reagierte. 2001 war die Strafe von 1995 zwar verjährt, doch der Student musste sich erneut wegen Dienstflucht vor dem Amtsgericht in Bergen verantworten. Dem Staatsanwalt, der sich selbst als Kriegsdienstverweigerer und Friedensaktivist der 80er Jahre zu erkennen gab, ging die Ablehnung des Zivildienstes zu weit. Er forderte 15 Monate Knast ohne Bewährung. Richter Pfestorf setzte die Strafe auf 12 Monate fest und zur Bewährung aus. Wieckhorsts Verteidigerin Gabriele Heinecke bezeichnet das Urteil als »Frechheit«, weil Pfestorf die Gewissensentscheidung ihres Mandanten nicht anerkannt habe. »Deshalb konnte Andreas für dieselbe Tat zum zweiten Mal bestraft werden, obwohl das Grundgesetz in Artikel 103 die Doppelbestrafung verbietet.«
Auch der Krankenpfleger Netzler verweigerte konsequent Erfassung, Musterung, Eignungsprüfung und mehrere Einberufungen. Einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung stellte er nicht. 1993 tauchte er für zwei Jahre unter, wurde gefasst, vor Gericht gestellt und 1996 in Itzehoe wegen Fahnenflucht zu 10 Monaten auf Bewährung verurteilt. Der erneuten Einberufung folgte das gleiche Spiel: Untertauchen, Festnahme, Untersuchungshaft, Urteil. Auf anwaltlichen Beistand verzichtete er. 1999 lautete der Richterspruch in Itzehoe acht Monate ohne Bewährung! Wieder setzte sich der renitente Wehrpflichtgegner ab. Vor zwei Wochen wurde er festgenommen, verbüßt seither eine Reststrafe in Stralsund.
Für Peter Tobiassen von der Bremer Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen gehört zumindest Netzler zu den »Altfällen«. Begründung: »In der aktuellen Wehrpflichtsituation können sich die Kreiswehrersatzämter aussuchen, ob sie Ärger haben wollen oder nicht.« Das heißt: Erklärte Kriegsdienstgegner dürfen zu Hause bleiben, weil ein Überangebot an Wehrpflichtigen herrscht. »Es wäre doch abstrus, wenn man die vier, fünf holt, die nicht wollen«, sagt Tobiassen. Wer sich wie Wieckhorst zuerst als Kriegsdienstverweigerer anerkennen lässt und dann dem Zivildienst fernbleibt, hat demnach heute die schlechteren Karten. Denn es gibt reichlich Bedarf an den billigen Arbeitskräften im sozialen Bereich.
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