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  • Wirtschaft und Umwelt
  • CDU will Bundeswehr in ganz Europa einsetzen/ Beitrag zu einem brennenden Verfassungsthema

„Zivildienst“ ist nichts als verkappter Militärdienst

  • HOLGER HÄNSGEN, Seebach
  • Lesedauer: 5 Min.

In der Vorwoche hat der CDU-Parteitag das Dresdener Manifest verabschiedet, in dem sowohl der Einsatz der Bundeswehr innerhalb von UNO-Truppen als auch bei einer noch zu schaffenden Eurostreitmacht befürwortet wird. Angesichts des Einsatzes in Krisengebieten wird besonders für junge Männer die Suche nach einer Alternative wichtig. Dazu äußert sich unser Autor:

Das Kuratorium für einen demokratisch verfaßten Bund deutscher Länder sieht in seinem Verfassungsentwurf eine Wehrpflicht vor. Die Bundestagsgruppe PDS/LL ist sich in ihrem Entwurf für eine deutsche Verfassung nicht einig und bietet zwei Varianten an: Wehrpflicht/Zivildienst und Verbot von Zwangsdiensten. Auch ihre Verfassungskonferenz in Bogensee brachte dazu konträre Standpunkte hervor. Das schmerzt mich, da hier offenkundig hinter alte Aussagen dieser Partei zurückgegangen wird. Im April 1990 wurde die Abschaffung der Wehrpflicht vertreten. War das nur ein Wahlkampftrick? Am 10. Juli 1990 schrieb Scheler im ND, daß die Abschaffung der Wehrpflicht „gegenwärtig nicht politikfähig“ sei.

Sowohl das Kuratorium als auch die Bundestagsgruppe PDS/LL sehen die „Alternative“ eines „Zivildienstes“ vor. Ich halte das für einen faulen Kompromiß. Warum?

Entsprechend Artikel 4 Absatz 4 des Grundgesetzes mußte mit der Einführung der Wehrpflicht in der BRD eine Alternative geschaffen werden, die im „Zivildienst“ (Art. 12a Abs.2) gefunden wurde. Der Begriff ist irreführend; es handelt sich um einen Wehrdienst, einen waffenlosen Kriegsdienst. Da es ein Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung (KDV) nur aus Gewissensgründen gibt, wurde das Ansinnen des Art.4 Abs.4 in sein Gegenteil verkehrt, in eine amtliche Gesinnungsschnüffelei.

Ungediente bzw. nicht Einberufene müssen die Verweigerung schriftlich beantragen oder zu Protokoll geben. Die Antragsteller sind in der Regel für Abrüstung und politische Friedenssicherung. Oft spielen Glaubensfragen eine Rolle. Um die Entscheidung für die Verweigerung zu erschweren, wurden hohe gesetzliche Hürden aufgebaut. Dazu gehören Musterungspflicht, Zivildienstüberwachung, die Meldedaten-Übermittlungs-Verordnung, die Verlängerung des Zivildienstes gegenüber dem Militärdienst, der verlängerte Einberufungszeitraum bei Ablehnung des Kriegsdienstverweigerungsantrages, das Widerspruchsverbot bei Ablehnung, der Berufungsausschluß gegen ein Urteil und der Beschwerdeausschluß gegen eine andere Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Der gleiche Kreis-

lauf der Instanzen bei erneuter Antragstellung nach Ablehnung. Dazu selbstverständlich die Beibringung eines polizeilichen Führungszeugnisses und eingehende „Gespräche“.

Das Bundesverfassungsgericht stellte außerdem am 24.April 1985 klar: „Bis zu ihrer Anerkennung dürfen Kriegsdienstverweigerer im . Kriegsfall bei den Streitkräften in allen Bereichen eingesetzt werden, in denen sie nicht direkt mit Waffen jemanden töten müssen.“ Möglicherweise wird man angesichts der in Aussicht gestellten Reduzierungen der Streitkräfte die Zügel etwas lockerer lassen. Dazu kommt, daß nur ein Viertel der Zivildienstplätze besetzt sind.

Es ist dennnoch interessant, die Entwicklung zu verfolgen: Von 1 bis 2 Prozent der Wehrpflichtigen in den 50er Jahren stieg der Anteil der Verweigerer bis Ende der 80er Jahre auf etwa 15 Prozent.

„Im Zivildienst erfüllen anerkannte Kriegsdienstverweigerer Aufgaben, die dem Allgemeinwohl dienen, vorwiegend im sozialen Bereich“, heißt es im Zivildienstgesetz. Fröbe bezeichnet in seinen Erläuterungen dazu die Zivildienstleistung als allgemeine staatsbürgerliche Pflicht, die dem anerkannten Verweigerer als Ausgleich für den Wehrdienst obliegt. Das alles klingt zwar gut, aber „vorwiegend“ heißt nicht „ausschließlich“; Zivil-

dienst könnte - zumindest theoretisch - auch für die Bereiche der Rüstungsindustrie und der Truppenstäbe angeordnet werden.

Der Staat schafft über den Zivildienst billige Arbeitskräfte, statt z.B. in den Altenr und Pflegeheimen für ausreichendes und geschultes Personal mit fester Anstellung zu sorgen. Mir drängt sich dabei der Gedanke an einen Reichsarbeitsdienst auf. Politiker der CDU/CSU denken laut über ein Pflicht jähr für Frauen nach.

Zudem stimmen zahlreiche Vorschriften des Zivildienstrechtes mit denen des Wehrrechtes überein. So sind die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit der Person, der Freizügigkeit, der Unverletzlichkeit der Person und der Petition eingeschränkt. 1987 stellte die Deutsche Friedensgesellschaft/Vereinigte Kriegsdienstverweigerer fest: „Kriegsdienstverweigerer, die nach dem geltenden Recht den Dienst mit der Waffe verweigern, befinden sich in dem Dilemma, daß sie ihrem Wunsch nach einer antimilitaristischen Politik durch die Ableistung des Zivildienstes keinen entsprechenden Ausdruck verleihen können: Der Zivildienst ist in die Zivilverteidigung als Bestandteil der Gesamtverteidigung eingebunden.“

Das Zivildienstgesetz ist laut Fröbes Erläuterungen „ein der Verteidigung dienendes Gesetz“.

Zahlreiche Einrichtungen, in denen Zivildienstleistende arbeiten, sind dann für die militärische Versorgung vorgesehen. Aus Pflegeheimen und Behinderteneinrichtungen werden Militärlazarette, Zivildienst leistende Kraftfahrer fahren statt Kinder oder Behinderte Soldaten oder Verwundete zu der/von der Front. Zivildienstleistende können in der Rüstungsindustrie beschäftigt werden. „Zivildienst“, der eine Kriegsdienstverweigerung schützen soll, wird so zum mittelbaren Kriegsdienst.

Wer aber auch den Zivildienst verweigert, wird total kriminalisiert: Das Zivildienstgesetz erklärt die totale Verweigerung zur Straftat; nicht anerkannte Verweigerer werden als „Fahnenflüchtige“ bestraft, wenn sie der Einberufung nicht folgen. Das kann bis zur Verurteilung wegen Landes- oder Hochverrat bzw. wegen Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates führen. Totale Verweigerer brauchten also eine starke Lobby, um den hohen Geld- oder Haftstrafen zu begegnen.

Ich jedenfalls bin aus allen diesen Gründen gegen jede Art Wehr-, Wehrersatz- oder Reservistendienst, egal, unter welchen Namen diese Dienste auftauchen. Ich halte mich da an Helmut Gollwitzers Wort: „Entweder wir schaffen die Rüstung ab, oder die Rüstung schafft uns ab.“

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