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OB muß selbst hinter's Lenkrad

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München. „Uns hat s lange genug gestunken, nun werden bald andere einen schlechten Geruch in der Nase haben“, meinte ein Funktionär der Münchner ÖTV-Bezirkszentrale. Er spielte damit auf. den Ausstand von 1 100 Müllbeseitigern und Deponiearbeitern an. Die hatten am Mittwochmorgen Besuch von ihrer Chefin Wulf-Mathies. Gegenseitig bekundete man sich Siegesgewißheit. Aber dazu bedarf es wohl auch einiger Geduld, selbst wenn man rechnet, daß täglich rund 2 000 Tonnen Zivilisationsmüll anfallen. Deren Gestank könnten schon einiges im Kopf der Verantwortlichen bewirken - wenn die nicht zumeist in schönen Randlagen siedeln würden.

Sichtbar(st) zeigt sich der Streik der Straßenreinigung im sonst so geleckten München. Nun sollen die Münchner und Münchnerinnen selber die Besen schwingen - so will es die Reinigungs- und Sicherungsordnung der Stadt. Doch wohin mit dem zusätzlichen Straßendreck? Die Müllmänner wie gesagt...

Köln. Schuldner der städtischen Gas- und Elektrizitätswerke können erst einmal aufatmen - die Inkassostelle des Unternehmens ist durch den Arbeitskampf lahmgelegt. Die Polizei muß defekte Fahrzeuge vorerst unbenutzt stehenlas-

sen - die Kfz-Mechariikef'“blieben der Arbeit fern. Auch die Fahrer ÖiS^iÖMiheli PühiSarksi lassen

die Räder ihrer noblen Karossen stillstehen. Oberbürgermeister, Bürgermeister und der Oberstadtdirektor müssen sich nun selber ans Steuer setzen.

In letzter Sekunde ist der Tarifkonflikt im nordrhein-westfälischen Kfz-Gewerbe gütlich beigelegt worden: Arbeitgeber und Gewerkschaften einigten sich auf eine rückwirkende Lohn- und Gehaltserhöhung zum 1. März um sieben Prozent. Ab 1. Januar 1993 erhalten die rund 72 000 Beschäftigten nach Angaben der IG ein weiteres Prozent Lohn, die Laufzeit der Vereinbarung beträgt zwölf Monate.

Nach Einschätzung aus Gewerkschaftskreisen ist damit ein erster Orientierungswert für die Tarifauseinandersetzung im Metallgewerbe unter DacM und Fach: Für die nächste Woche droht die IG Metall mit Warnstreiks, die Arbeitgeber kündigten für diesen Fall Aussperrungen an.

Saarbrücken. In Saarbrücken und weiteren Städten des Landes verschärften sich die Streikmaßnahmen. Sämtliche Kommunalverwaltungen, Straßenbauverwaltungen, Verkehrsbetriebe, Arbeitsämter und Sozialversicherungsträger (LVA Bundesknappschaft) sind bereits seit Montag von den Aufständen betroffen. Vor der Mensa der Universität des Saarlandes haben sich Streikposten aufgestellt. Wie vielerorts hat sich nunmehr auch der Verkehr auf saarländischen Straßen verdichtet. In den Innenstädten herrscht zum Teil Stillstand. Viele Berufstätige hatten bis Dienstag bereits Fahrgemeinschaften organisiert, schonen so Umwelt

und Nerven. Mit Ausnähme des privaten Linienverkehrs .und, .der BufeSeitiefäDeutscn'eh* Bundesbahn rollen keine öffentlichen Nahverkehrsmittel mehr. Wie der saarländische Streikleiter der DAG, Gerhard Völker, gegenüber ND mitteilt, hat man gestern auch Teile des Pflegebereiches der Krankenhäuser auf Null-Arbeitsdiät gesetzt. „Wenn es hart bleibt, wird ab dem Tage X nächster Woche das gesamte Pflegepersonal die Arbeit niederlegen.“ Das sei jedoch nicht im Sinne der Gewerkschaften, man hoffe bis dahin auf akzeptable Angebote von Arbeitgeberseite.

Auch im Bereich der Energieversorgung könnte zu weiterer Intensivierung des Streiks kommen, erklärte Völker. Seiner Auffassung nach können sich die Gewerkschaften das Tarif diktat der öffentlichen Arbeitgeber nicht länger gefallen lassen. Dabei sei sich die DAG mit CGB und DGB einig. So gehen die Arbeitsniederlegungen noch bis mindestens Mittwoch kommender Woche weiter.

Nürnberg. Die Gewerkschaften haben auch im Nürnberger Raum zugelegt - und damit kräftig Dienstleistungen abgebaut. Seit Dienstag kamen Dutzende Züge des Fernund des Regionalverkehrs um Stunden zu spät an ihrem Reiseziel an. Am Hauptbahnhof Nürnberg waren die Rangierarbeiter dem Aufruf ihrer Eisenbahner-Gewerkschaft gefolgt. Die meisten Fahrgäste zeigten Verständnis für die Aktionen. Der stellvertretende Vorsitzende des GdED-Bezirks Nürnberg, Rudi Hepf: „Etwa 60 bis 70 Prozent solidarisieren sich mit uns.“ Mit im Streik stehen 250 Arbeiter im Bundesbahnausbesserungswerk. Dies, so Rudi Hepf, kann gravierende Folgen haben:

Um das drohende Ausbluten zu verhindern, stellte der FIMAG-Betriebsrat schon im November 1991 einen Antrag, die FIMAG abzuspalten und selbständig zu machen. Der seit Ende Januar 1992 vorliegende Abspaltungsplan wird aber von VEM und Treuhand bislang blockiert. Der Grund: Seit anderthalb Jahren versucht ein amerikanischer Investor, die FIMAG zu erwerben - im VEM-Aufsichtsrat hat aber der deutsche Industriekonzern Siemens das Sagen, der die Konkurrenz bei der FIMAG nicht zum Zuge kommen lassen will. Lieber läßt man also dem Betrieb nach und nach die Luft ausgehen.

Dank Treuhand, „Investoren“ und einer vielfach ohnmächtigen Politik geht für die Finsterwalder Industrie das Licht am Tunnelende aus. FIMAG-Betriebsratsvorsitzender Rudi Keßler sieht die Stimmung in der Stadt schon umschlagen: „Wenn nicht bald daran gedacht wird, daß wir nicht nur die Sängerstadt sind, sondern auch Industriestandort waren, kann es hier zum Knall kommen. Bas dauert nicht mehr allzulange.“

Die ICE-Linie Hamburg-München wird im Mai nicht rechtzeitig in Betrieb gehen können und auch aus der Eröffnung der neuen S-Bahn-Linie vom Münchener Hauptbahnhof zum neuen Flughafen im Erdinger Moos, die für den 15. Mai geplant war, wird nichts werden.

Auch bei der Nürnberger Post dehnten die Gewerkschaft verstärkte sich der Widerstand gegen die Arbeitgebersparmaßnahmen. Schon am Dienstag blieben viele Briefzusteller zu Hause. DPG-Arbeitskampfleiter Reinhard Hoch: „300 000 Briefe, sieben Tonnen Massendrucksachen und fünf Tonnen Zeitungen sind am ersten Tag bereits liegengeblieben.“ Man kann hochrechnen, wieviel Post sich nach einer Woche stapelt...

Im Organisationsbereich der Nürnberger ÖTV streikten etwa 1 700 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die Nürnberger Verkehrsbetriebe waren zu 97 Prozent bestreikt - Busse und Bahnen standen still, freie Taxis waren kaum zu ergattern. Verschlossene Türen auch bei der Kfz-Zulassung, in den Hallenbädern, beim Bauhof und beim Wasser- und Schiffahrtsamt. Seit sich der Arbeitskampf abzeichnete, hat die Nürnberger ÖTV enormen Zulauf bekommen. Der örtliche ÖTV-VflKrtaende i-,Peter Löser: „ Seit der^Urabstimmühg haben wir bereits 800 Aufnahmen. “ ?

Bonn. Die disziplinierte Bonner Journalistenrunde wurde am Mittwoch durchbrochen. Zur Pressekonferenz von SPD-Geschäftsführer Blessing waren auch streikende Gewerkschafter der ÖTV erschienen. Die begleiteten Blessings Worte mit demonstrativem, sonst nicht üblichem Beifall. Blessing sagte, daß die Bundesregierung jetzt Sündenböcke für ihre verfehlte Wirtschaftspolitik suche. Die Gewerkschaften sollen als die Schuldigen hingestellt werden, mit der Absicht, eine Wende in der Tarif- und Sozialpolitik herbeizuführen. Auch vor dem Kanzleramt, wo das Bundeskabinett die Lage beriet, demonstrierten Streikende.

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