Keine Entgeltfortzahlung bei Selbstverschulden

(Teil 2)

  • Dr. PETER RAINER
  • Lesedauer: 3 Min.
Eine Voraussetzung für den Anspruch des Arbeitnehmers auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist, dass ihn für die entstandene Arbeitsunfähigkeit kein Verschulden trifft. Angenommen wird ein Verschulden u.a. bei grober Verletzung der Sicherheitsbestimmungen im Arbeitsprozess sowie bei grob fahrlässigem Verhalten im Straßenverkehr (siehe Teil 1 des Beitrages im Ratgeber Nr. 588 / 14. Mai 2003) Heute setzen wir die Beschreibung weiterer Fallgruppen fort.

Grobe Fahrlässigkeit
Sportunfälle durch Überschätzung: Eine Arbeitsunfähigkeit wegen Ausübung einer Sportart gilt nach geltender Rechtsprechung als unverschuldet. Die in diesem Zusammenhang auch in jüngster Zeit wieder diskutierte Frage, ob nicht einzelne Sportarten besonders gefährlich sind, und daher der Arbeitnehmer die Verantwortung für eine Verletzung selbst zu tragen habe, hat die Rechtsprechung immer wieder beschäftigt. Das gilt z.B. für solche Sportarten wie Boxen, Moto-Cross-Fahrten, Drachenfliegen u.a. Nach zur Zeit geltender richterlicher Auffassung kann von einem groben Selbstverschulden nur dann gesprochen werden, wenn der Arbeitnehmer »in erkennbarer Überschätzung seiner eigenen Kenntnisse und Fähigkeiten und ohne entsprechendes Training glaubt, sportliche Leistungen erbringen zu können, die unter gegebenen Umständen kein normaler Mensch erbringen würde«. Für die Beurteilung ist somit maßgebend, ob die Ausübung der Sportart wesentlich die Leistungsfähigkeit des Sporttreibenden übersteigt, oder er den Belastungen unter Berücksichtigung der Anforderungen an Ausrüstung, Training und Sicherheit gewachsen war.
Teilnahme an Schlägerei: Hat sich der Arbeitnehmer an einer Schlägerei oder Rauferei aktiv beteiligt und ist er dabei verletzt worden, so gilt die dadurch entstandene Arbeitsunfähigkeit regelmäßig als verschuldet. Dabei gilt der »Beweis des ersten Anscheins« (Arbeitnehmer gilt auch sonst als jähzornig oder rowdyhaft). Diesen Beweis des ersten Anscheins müsste der Arbeitnehmer dadurch erschüttern, dass er Tatsachen vorträgt, die für seine Schuldlosigkeit sprechen, so z.B. er sei in die Schlägerei ohne sein Verschulden geraten und habe nur in Notwehr gehandelt.
Rechtswidrige Nebentätigkeit: Ein Unfall bei einer zulässigen Nebentätigkeit gilt grundsätzlich als unverschuldet. Dagegen besteht kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn es sich um eine rechtlich missbilligte Nebentätigkeit handelt. Das gilt für Nebentätigkeiten, die rechtlich verboten sind oder ohne Information des Arbeitgebers ausgeübt werden und sich erheblich nachteilig für den Arbeitgeber auswirken (Wettbewerbsverbot). Gleiches gilt für eine Nebentätigkeit, die, für den Arbeitnehmer erkennbar, seine Kräfte erheblich übersteigt.
Alkohol- und Drogenabhängigkeit: Nach geltender Rechtsauffassung gelten Alkohol- und Drogenabhängigkeit als Krankheit, die an sich nicht zum Verlust eines Entgeltfortzahlungsanspruchs führen. Es sei denn, dass es dem Arbeitgeber gelingt, ein Verschulden des Arbeitnehmers an der Entstehung der Abhängigkeit nachzuweisen. Wird der Arbeitnehmer dagegen nach einer stationären Entziehungskur wieder abhängig, kann er den Anspruch auf Entgeltfortzahlung verlieren. Gleiches gilt, wenn er keine Therapiebereitschaft zeigt.
Fehlverhalten im Krankenstand: Der erkrankte Arbeitnehmer hat alles zu unterlassen, was die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit verzögern könnte und seine Lebensführung darauf einzurichten. Zugleich hat er den Anweisungen des Arztes Folge zu leisten. Verstößt der Arbeitnehmer gegen diese Anforderungen, ist der Arbeitgeber berechtigt, die Entgeltfortzahlung für die Zeit, um die sich durch das Fehlverhalten des Arbeitnehmers die Arbeitsunfähigkeit verlängert, zu verweigern.

Beweislast beim Arbeitgeber
Will der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verweigern, so hat er nach höchstrichterlicher Rechtsprechung darzulegen und zu beweisen, dass ein Eigenverschulden des Arbeitnehmers an der Arbeitsunfähigkeit vorliegt. Verschulden bedeutet in diesen Fällen schwerwiegende Schuld: Vorsatz, grobe Fahrlässigkeit oder unerhörter Leichtsinn. Dem Arbeitnehmer muss ein unverständliches, leichtfertiges oder gegen die guten Sitten verstoßendes Verhalten nachgewiesen werden, wie es kein vernünftiger Mensch zur Wahrung der Interessen in eigenen Angelegenheiten an den Tag legen würde.
Gelingt dem Arbeitgeber ein solcher Beweis, so verliert der Arbeitnehmer den sonst gesetzlich garantierten Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

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