Die heute beginnende 100. Auslandsreise führt Papst Johannes Paul II. nach Kroatien, wo er bis zum Montag ein religiös- politisches Programm absolviert. Die Jubiläumszahl unterstreicht die Bedeutung, die das südosteuropäische Land seit jeher in der Strategie des Vatikans hat.
»Es wäre für uns ein besonderer Trost, wenn sich der Besuch des Heiligen Vaters bei unserer Kirche verwirklichen könnte.« Diesen Wunsch äußerten die katholischen Bischöfe von Kroatien am 1. Februar 1991 in einem Schreiben »an alle Bischöfe der Welt«.
Wenn Papst Johannes Paul II. heute auf dem Flughafen der kroatischen Küstenstadt Rijeka eintrifft, ist dies nach 1994 und 1998 bereits der dritte Besuch des Kirchen-Oberhauptes in der Adria-Republik, wo über drei Viertel der 4,4 Millionen Einwohner römisch-katholischer Konfession sind. Dass es zugleich die 100. Auslandsreise ist, die der 83-jährige Pole Karol Wojtyla während seines über 24-jährigen Pontifikats antritt, mag Zufall sein.
Kein Zufall war der nationalistische Geist, in dem die Bischöfe von Kroatien vor mehr als zwölf Jahren ihr Schreiben aufsetzten. Denn, hieß es darin, »trotz der wiederholten offiziellen Einladung der Regierung ist es den antikatholischen Kräften bisher gelungen«, einen Papstbesuch zu vereiteln. »Auch das«, wurde sodann betont, »ist eines der viel sagenden Zeichen für die Lage in diesem Jugoslawien.«
Diplomatischer Offensive folgte der Bürgerkrieg
Dass es »dieses Jugoslawien« ein Jahr später nicht mehr gab, war - neben dem christdemokratisch regierten Deutschland und der EU - vor allem ein »Verdienst« des Vatikans. Dieser stellte sich unmissverständlich hinter die Unabhängigkeitserklärung Kroatiens (und Sloweniens) im Juni 1991 und erkannte die neue Republik im Januar 1992 diplomatisch an - kurz nach Deutschland und noch vor der Europäischen Union. Dass diese Eile maßgeblich zum Ausbruch der jahrelangen opferreichen Sezessionskriege in Titos einstigem Vielvölkerstaat beitragen musste, war absehbar. Warum die vatikanische Außenpolitik dennoch darauf brannte, die riskante Karte auszuspielen, macht ein Blick in die Geschichte verständlich.
Schließlich galt Kroatien der Rom-Kirche stets als verlässlicher südöstlicher Vorposten, der die Fahne des Katholizismus hoch hielt, der Orthodoxen Kirche trotzte und ein Bollwerk gegen den Islam jenseits seiner Grenzen bildete. Bis 1918 dem Habsburger Reich zugehörig, wurde das Land an der Adria nach dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie im Gefolge des Ersten Weltkrieges Teil des Königreichs Jugoslawien und befand sich damit erstmals unter serbischer Vorherrschaft, wo die orthodoxe Kirche staatstragend war.
Als 1941 nach der Zerschlagung Jugoslawiens durch die faschistischen Achsenmächte Deutschland und Italien neben Serbien und Montenegro auch ein Marionettenstaat Kroatien auf der Balkan-Bühne erschien, genoss dieser umgehend das größte Wohlwollen des Vatikans. Für die Aussicht, dort dem Katholizismus wieder zur Dominanz zu verhelfen, nahm man auch das Terror-Regime der Ustascha-Faschisten in Kauf. So empfing Papst Pius XII. im Mai 1941 den kroatischen Ustascha-Führer Ante Pavelic zu einer Privataudienz im Vatikan, aus der er ihn mit den besten Wünschen für die »weitere Arbeit« entließ. Bis diese »Arbeit« 1945 durch Titos Volksbefreiungsarmee und sowjetische Truppen endlich gestoppt werden konnte, hatte sie Hunderttausende orthodoxe Serben sowie Zehntausende Juden und Sinti und Roma das Leben gekostet. Die Massaker und Zwangsbekehrungen zum katholischen Glauben erfolgten mit Duldung, Billigung und gar Beteiligung des kroatischen Klerus. Der Schlächter Pavelic wurde - wie viele andere Kriegsverbrecher - mit Hilfe des Vatikans nach Argentinien geschleust. In katholischer Priesterkleidung als »Pater Gomez«.
Bis heute hält sich der Verdacht, dass die Finanzierung dieser »Rattenlinie« nach Südamerika auch mit Geldern erfolgte, die kroatische Faschisten ihren Opfern abgepresst und geraubt hatten und die dann auf dunklen Kanälen bis Rom geflossen sein sollen. Bereits im Herbst 1946 hatte ein USA-Geheimdienstmitarbeiter derlei Ungeheuerliches - es soll sich um 200 Millionen Schweizer Franken gehandelt haben - nach Washington gemeldet. Der Bericht gelangte allerdings erst über 50 Jahre später an die Öffentlichkeit.
Keine Zweifel mehr gibt es, was die Komplizenschaft zwischen Ustascha und katholischer Kirche in Kroatien betrifft. Diese reichte von der Segnung der Untaten über als Waffenlager missbrauchte Klöster bis zur aktiven Mithilfe durch Geistliche als Folter- und Henkersknechte in den Konzentrationslagern des Regimes.
Segen Roms für den Terror der Ustascha
Das ungebrochen-unkritische Verhältnis der Führung der katholischen Weltkirche zu diesem finsteren Kapitel ihrer Geschichte zeigte sich exemplarisch beim zweiten Papst-Besuch in Kroatien 1998. Als Glanzpunkt der Visite wurde der ehemalige Erzbischof von Zagreb, Kardinal Alojzije Stepinac (1898-1960), vom Pontifex maximus selig gesprochen.
Die international agierende katholische Organisation »Kirche in Not/Ostpriesterhilfe«, zu Zeiten des »Eisernen Vorhangs« als stramm antikommunistische Subversionskolonne Roms aktiv, machte damals aus ihrer Begeisterung kein Hehl: »Die Seligsprechung von Kardinal Stepinac, der ein Kämpfer für Gerechtigkeit und gegen das kommunistische Regime war, soll eine Abrechnung mit dem Faschismus, Nationalismus, aber auch mit dem Kommunismus sein.« Es ging vor allem um Letzteres.
Von einer kritischen Aufarbeitung, gar Abrechnung mit dem Faschismus konnte - und kann - weiß Gott nicht die Rede sein. War doch der nunmehr Selige seinerzeit tief verstrickt in die Gräueltaten der katholischen Ustascha gegen die orthodoxen Serben. Er hatte die Machtübernahme 1941 begrüßt und umgehend den Kontakt zwischen dem faschistischen Marionettenführer Pavelic und dem Vatikan hergestellt. Die Politik der Terrorherrscher pries der Geistliche, der 1942 auch zum Militärvikar der Ustascha-Armee ernannt wurde, gar als »Wirkung der göttlichen Hand«.
Es war sein sprichwörtlicher Antikommunismus, der Stepinac in den westlichen Ländern später berühmt machte. Der Kampf gegen die atheistischen Kommunisten hatte für ihn oberste Priorität. Deshalb rechtfertigte er das Ustascha-Regime und dessen Abhängigkeit von Hitler-Deutschland. Als er 1946 wegen Kollaboration verurteilt wurde, begann seine Zeit als »Märtyrer des Glaubens«, besonders, als er in der Haft an Leukämie erkrankte. Einzig dieser Märtyrer-Rolle wegen wurde er vom Papst selig gesprochen. Noch heute behaupten kroatische Kirchenführer, die Kommunisten hätten Stepinac in der Haft langsam vergiftet.
Tatsache ist, dass Stepinac nicht den geringsten Wert auf gute Beziehungen zur serbisch-orthodoxen Schwesterkirche legte, deren Anhänger ihm als Häretiker galten. Sein absoluter Gehorsam gegenüber Rom bot keinen Raum für eine ökumenische »Aufweichung«. Er war in keiner Hinsicht ein Mann des Ausgleichs.
Somit war es auch gewiss kein Signal der Versöhnung, das Johannes Paul II. 1998 mit Stepinac Seligsprechung gab. Im Gegenteil: Die alten Wunden wurden aufgerissen, auch zwischen Kroaten und Serben; die Aufarbeitung der Faschismusgeschichte Kroatiens und der Verstrickung der katholischen Kirche wurde nun noch weit schwieriger als bisher.
Doch es ging dem Vatikan in Kroatien - wie anderswo auch - stets weniger um Versöhnung als um Macht und Einfluss der römisch-katholischen Kirche. 1998 ebenso wie 1992, als die Anerkennung Kroatiens durch eine »Heilige Allianz« zwischen dem Kirchenstaat und der christdemokratischen Internationale den Konflikt in dem Balkanland blutig eskalieren ließ. »Die Kroaten hatten Glück, weil sie auf ihrer Seite den Papst, die deutsche Regierung und den lieben Gott wussten.« So äußerte sich im Sommer 1992 Paul Bocklet, damaliger Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe in Bonn. Und Monsignore Milan Simci, vatikanischer Staatssekretär der Kongregation für den Klerus, gab sich im April 1993 zufrieden: »Die Intervention des Heiligen Stuhls hat gegenüber Kroatien wirklich das gelöst, was mit Nägeln geschlossen war.«
Erinnerungen an die »heile Welt« Habsburgs
Franjo Tudjman (1922-1999), der autoritäre Gründungspräsident des neuen kroatischen Kleinstaates, erwies sich dabei als nützliche Kreatur sowohl für die zersetzenden westlichen Ansprüche einer Neuordnung auf dem Balkan als auch für die Regenerierung römisch-katholischer Macht in dieser vorgeschobenen Position des so genannten christlichen Abendlandes. Sah doch Tudjman Kroatiens politische Verbindung mit dem Balkan nur als eine »kurze Episode von insgesamt sieben Jahrzehnten in der kroatischen Geschichte, in der die zivilisatorischen Gegensätze nicht gemindert, sondern im Gegenteil nur noch vergrößert wurden«.
Diesem Streben nach Re-Integration in die Familie christlich-abendländischer Völker entspricht der Anfang dieses Jahres gestellte Antrag zur Aufnahme in die Europäische Union. Das Land kann dabei auf einflussreiche Fürsprecher bauen. Auch solche, die aus den Tiefen der Vergangenheit kommen. So hatte der Enkel des letzten Habsburger-Kaisers sein Baby zur Taufe in den Stefansdom von Zagreb gebracht und dem Kind dort den kroatischen Königsnamen Zvonimir gegeben.
Auch beim Heiligen Stuhl dürfte ein möglicher EU-Beitritt seines südöstlichen Vorpostens geopolitische Erinnerungen an die »heile Welt« der Habsburger geweckt haben. Die Apostolische Jubiläumsreise des Papstes konnte kaum ein symbolträchtigeres Ziel finden.
führt den Papst in ein Kroatien, das auf dem besten Wege ist,
des Papstes steht somit unter besten Vorzeichen.
Wenn Papst Johannes Paul II. heute auf dem Flughafen der kroatischen Küstenstadt Rijeka eintrifft, betritt er den Boden seines am weitesten nach Osten vorgeschobenen Vorposten.
lebt hätte! Schließlich hat der damalige kroatische Präsident schon in seiner Rede von 1996 anlässlich der Aufnahme Kroatiens in den Europarat begründet, wieso das Land unbedingt zur westlichen Zivilisation gehört: »Das kroatische Volk hat erstaunliche Stärke und Reife bewiesen, wodurch es selbst, aus eigener Kraft - und mit Gottes Hilfe - seine Stellung sowohl in der internationalen Ordnung als auch jetzt im Europarat erkämpft hat. () Aufgrund seiner geopolitischen Lage und seiner 14 Jahrhunderte langen Vergangenheit gehört Kroatien der mitteleuropäischen und mediterranen Kultur- und Zivilisationssphäre an. Die politische Verbindung mit dem Balkan ist nur eine kurze Episode von insgesamt sieben Jahrzehnten in der kroatischen Geschichte, in der die zivilisatorischen Gegensätze nicht gemindert, sondern im Gegenteil nur noch vergrößert wurden.«
Franjo Tudjman, Gründungspräsident des neuen kroatischen Kleinstaats, nützliche Kreatur zersetzender westlicher Ordnungsansprüche im und auf den Balkan, hat seinen abendländischen Freunden und Förderern spät, aber noch nicht zu spät einen letzten großen Gefallen getan und mit seinem Ableben das bedeutendste Hindernis für eine europareife Demokratie in Zagreb aus dem Weg geräumt - bis zum letzten Atemzug eine doppeldeutige Figur. Denn einerseits hatte der Mann eine unbestreitbar gute Seite von historischer Größe, an die wir gerne zurückdenken: "Tudjmans größtes Verdienst ist die Unabhängigkeit Kroatiens" (Überschrift der FAZ, 13.12.) Die epochemachende Parole 'Freiheit statt Sozialismus' hat er völlig sachgerecht auf das alte Tito-Jugoslawien angewandt - und ist nicht davor zurückgeschreckt, die komplementäre Alternative 'Sozialismus oder Barbarei' gleich mit wahrzumachen -: Er hat begriffen, dass 'Freiheit' allemal die - vom freiheitsliebenden Westen zugebilligte - Freiheit eines stur patriotisch denkenden Volkes meint, sein - vom Westen zuerkanntes - Selbstbestimmungsrecht in der Unterwerfung unter eine - vom Westen genehmigte - völkische Obrigkeit zu betätigen; und mit entschlossenem Zugriff hat er die entsprechende Freiheitschance ergriffen, die sich mit der Selbstauflösung des 'Ostblocks' auch für die Insassen des jugoslawischen 'Vielvölkerstaats' bot. Dass dieser Staat seinen Zusammenhalt mit militärischer Gewalt verteidigt hat, ist Tudjman daher als tapferer Freiheits- und Abwehrkampf gegen unbefugte zentralistische Übergriffe Belgrads gutgeschrieben worden.
Immerhin hatte der Vatikan beispielsweise während der Balkankriege durchaus eigene Interessen vertreten. So eskalierte der blutige Konflikt in Kroatien nach der diplomatischen Anerkennung des katholisch geprägten Separatstaates, deren Anfang der Vatikan - noch vor Deutschland - gemacht hatte. Und die von Rom betriebene Unterstützung der muslimischen Bosnier gegen die christlichen Serben folgte dem Kalkül, dass ein serbischer Sieg den islamischen Fundamentalismus stärken würde. Selbst für die Bombenangriffe auf Jugoslawien gestand der Papst der NATO noch Rechtfertigungsgründe zu.
Viel Gutes sagt man ihm nach: er war persönlich außerordentlich anspruchslos, er hat sich zeitlebens um die sozialen Nöte der "kleinen Leute" gekümmert, für Bauern und Industriearbeiter gekämpft; er hat verfolgte Juden gerettet und gegen Ustascha-KZ protestiert, und er hat in Kroatien verfolgte Serben in Schutz genommen. Was ihn aber (vor allem in den westlichen Ländern) berühmt gemacht hat, war sein sprichwörtlicher Antikommunismus: in allem, was er tat und sagte, hatte sein Kampf gegen die atheistischen Kommunisten Priorität: nichts war wichtiger als der Sieg über die Gottlosigkeit. Deshalb rechtfertigte er das antidemokratische Ustascha-Regime und seine Abhängigkeit von Hitler-Deutschland. Als ihn die Kommunisten verurteilten, kam er sich als Märtyrer des Glaubens vor, besonders als er in der Haft an Leukämie erkrankte. Als Märtyrer des Glaubens - nicht wegen seiner persönlichen Integrität - ist er jetzt seliggesprochen worden. Noch heute nehmen kroatische katholische Kirchenführer an, die Kommunisten hätten Stepinac in der Haft langsam vergiftet (so Zivko Kustic, Direktor der Kirchlichen Nachrichtenagentur). Auch legte Stepinac nicht den geringsten Wert auf gute Beziehungen zur serbisch-orthodoxen Schwesterkirche: Sein absoluter Gehorsam gegen "Rom" war immer so konsequent, daß es keine ökumenische "Aufweichung" geben durfte. Die Serbisch-Orthodoxen galten ihm nur als Häretiker. Stepinac war kein Mann des Ausgleichs, der Friedensarbeit, der Versöhnung. Was, wen braucht Kroatien 1998? Ganz bestimmt nicht den seligen Stepinac. Mit ihm hat der Papst kein Signal der Versöhnung gegeben, zwischen Altkommunisten, Neusozialisten und konservativen Katholiken. Der selige Stepinac ruft eher die Gefahr neuer gesellschaftlicher Zerissenheit herbei; alte Wunden werden aufgerissen, auch zwischen Kroaten und Serben; umso schwerer wird es von nun an sein, die Faschismusgeschichte Kroatiens (vor allem wegen ihrer katholischen Anteile) zu studieren und unvorein genommen "aufzuarbeiten".
Der 83-jährige Papst