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Ist Adlerfarn Natur?

Nach Sturmschäden auf dem Darß wird um die »Reparatur« debattiert

  • Tom Kirschey
  • Lesedauer: 4 Min.
Soll es auch dann natürlich in Nationalparks zugehen, wenn ein Sturm jede Menge Bäume umwirft? Oder muss dann in jedem Fall vom Menschen aufgeräumt werden? Darüber wird derzeit auf dem Darß im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft diskutiert.
Am Abend des 3.Dezember 1999 traf der Orkan »Anatol« die vorpommersche Ostseeküste: abgedeckte Häuser, umgeknickte Strommasten und jede Menge Astbruch. Auf der Halbinsel Darß - mitten im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft - warf »Anatol« das Holz hektarweise zu Boden - etwa 10000 Festmeter. Für die Natur sind Katastrophen wie diese ganz normale Abläufe und gehören zu dynamischen ökologischen Prozessen, die Lebensräume natürlich prägen und verändern. Ziel von Nationalparks ist es, gerade diese Prozesse überhaupt erst wieder möglich zu machen. In Wirtschaftswäldern - der Windwurf des Orkans »Lothar« im Schwarzwald des gleichen Jahres zeigte es - wird solch ein flächenhaftes »Werden und Vergehen« nicht toleriert. Liegendes Holz muss abtransportiert werden, neue Bäume müssen gepflanzt werden. Darauf läuft die von weiten Teilen der Bevölkerung unterstützte und sogar als Naturschutz geltende Mentalität der Forstwirte hinaus. Am schlimmsten aus ökologischer Sicht - und leider in deutschen Forsten noch immer am häufigsten anzutreffen - ist dann die Aufforstung mit »standortgerechten« Baumarten in ordentlicher Reihe und einer Altersklasse. Unter »Standortgerechtigkeit« versteht der Forstwirt dabei diejenige Pflanze, die auf dem jeweiligen Standort mit seinen spezifischen Bodenverhältnissen das Mineraliendargebot am besten aufnimmt und gemäß des erwarteten Holzzuwachses am besten gedeiht. Das sind aber zu großen Teilen nicht die Baumarten, die an dem »Standort« natürlicherweise vorkommen. Obwohl die forstliche Standortlehre schon eine »alte Disziplin« ist, sind über die natürlichen Wuchsbedingungen unserer Wälder noch zu wenige Kenntnisse vorhanden, um beispielsweise erklären zu können, warum bei Orkanen gerade die »standortgerechten«, aber nicht »standortheimischen« Arten eher zu Boden gehen - verglichen mit natürlich gewachsenen oder durchmischt angebauten Beständen. Obwohl ein Orkan in den Bahnen seines Hauptwindes noch jeden Baum zu Boden reißt, knickt er in seiner Peripherie »gezielt« die angebauten, nicht »standortheimischen« Kulturen. Im Darßwald wurde von »Anatol« vornehmlich die Kiefer geworfen. Die kommt hier zwar natürlich vor, wurde aber als Monokultur in endlosen Reihen gepflanzt, was beim Eintreffen von »Anatol« zum Domino-Effekt führte. Ende der 60-er Jahre hatte ein Sturm auf dem Darß die 25-fache Holzmenge wie »Anatol« geworfen. Man pflanzte damals eine neue Monokultur - eben die Windwurfflächen von heute und morgen. Unter betriebswirtschaftlichen Maßstäben wäre eine derartige vorhersehbare Wertvernichtung undenkbar. Obendrein spritzte man damals Tonnen von Schädlingsbekämpfungsmitteln gegen den Borkenkäfer. Auch wenn das Ausmaß von »Anatol« vergleichsweise gering war, entbrannte sofort ein heftiger Streit um die künftige Behandlung der Flächen. Zahlreiche Kommunalpolitiker, die »ordnungsliebenden« Touristen im Auge, forderten zügige Aufarbeitung und Wiederbewaldung. Der Naturschutz verlangte, das Holz müsse liegen bleiben. Die Natur solle sich selbst regenerieren, wie bei einem Nationalpark für mindestens die Hälfte seiner Fläche vorgeschrieben ist. Das zuständige Umweltministerium in Schwerin entschied, dass in der Kernzone des Nationalparks keine Aufarbeitung erfolgen solle. In der Entwicklungszone sollen zumindest Einzelwürfe im Wald verbleiben. In der Pflegezone soll komplett aufgeräumt werden. Obgleich sich dies salomonisch anhört, ist heute erst absehbar, dass man hieraus auch Erkenntnisse für die künftige Behandlung von Windwurfflächen ziehen kann. Die Landeswaldschutzmeldestelle und das Zoologische Institut der Universität Greifswald legten kürzlich erste Zwischenberichte ihrer vergleichenden Dauerbeobachtung der unterschiedlich behandelten Flächen vor. Ob das nun an der Witterung lag oder nicht - zu einer Massenvermehrung von Forstschädlingen im liegengebliebenen Holz kam es nicht. Jedoch brach die »standortgerechte« Fichte, die natürlicherweise nur in den Mittelgebirgen vorkommt, lokal zusammen, weil sie vom Buchdrucker befallen wurde. Auf anderen Flächen breitete sich der Adlerfarn aus. Nun befürchten die Forstwirte, dass der Farn das Aufwachsen von Bäumen verhindert. Seit 1994 abgezäunte Adlerfarnflächen sind noch heute ohne junge Bäume. Schon diese Tatsache schafft neue Probleme, denn die Forstwirtschaft toleriert den Farn in der Pflegezone nicht. Weder gibt man der Natur die nötige Zeit, sich zu regenerieren, noch kann man akzeptieren, dass eine Fläche möglicherweise »natürlich« waldfrei bleibt. Stattdessen wird der Farn bekämpft und der Katastrophenwald von morgen gepflanzt. Zwar setzt man inzwischen auch auf Laubholz, aber die ins Auge gefasste nordamerikanische Douglasie ist selbst im Nationalpark mit dabei. Und dies, obwohl die Nationalparkphilosophie damit auf den Kopf gestellt wird. Denn eigentlich sollen in der Pflege- und Entwicklungszone naturverträgliche, sanfte und zukunftsweisende Betriebstechniken praktiziert werden und nicht ein aus Naturschutzsicht negativer Kontrast zur Kernzone geschaffen werden. Schon im Bundesnaturschutzgesetz heißt es: Nationalparke sind einheitlich zu schützende Gebiete. Auf dem Darß geht man hier jedoch offenbar »eigene Wege«.

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