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Depression als soziale Frage
Laut einer Studie des Robert-Koch-Instituts häufen sich die Symptome zunehmend bei Menschen mit niedrigem Einkommen
Sozioökonomisch benachteiligte Gruppen leiden stärker unter depressiven Symptomen als andere Bevölkerungsschichten. Dies ist das Ergebnis einer Untersuchung des Robert-Koch-Instituts (RKI) und der Berliner Charité, die am Freitag im Fachmagazin »Deutsches Ärzteblatt International« erschienen ist. Die Ungleichheit hat demnach zuletzt sogar noch zugenommen.
Die Studie mit dem Titel »Einkommen, Bildung und depressive Symptome in Zeiten multipler Krisen« ist Teil des RKI-Projekts »Gesundheit in Deutschland aktuell« (GEDA) – ein bundesweites Monitoring auf der Basis regelmäßiger telefonischer Befragungen mit Zehntausenden Teilnehmern zu Gesundheitsverhalten, Versorgung sowie zu körperlicher und psychischer Gesundheit. Die Autoren um die Psychologin Christina Kersjes verweisen darauf, dass die vergangenen Jahre von multiplen Krisen geprägt waren, was einen Anstieg depressiver Symptomatik in der deutschen erwachsenen Bevölkerung mit sich brachte. Bei der Auswertung der repräsentativen Daten aus den Jahren 2019 bis 2024 ergab sich: Je niedriger der Bildungsstand und das Einkommen, desto höher die Belastung durch Kernsymptome wie »depressive Stimmung« und »Interessenverlust«.
Über den gesamten Zeitraum wiesen Personen mit niedrigerem sozioökonomischen Status laut dem Autorenteam eine höhere Belastung durch depressive Symptome auf. Während diese Belastung in den ersten beiden Pandemiejahren in allen sozioökonomischen Gruppen gleichermaßen zunahm, war der Anstieg ab 2022 in den niedrigeren Statusgruppen besonders ausgeprägt. Somit vergrößerte sich die Lücke zwischen den Statusgruppen weiter.
Einkommensunterschiede hatten dabei den größten Einfluss, zudem waren Frauen stärker belastet: In der niedrigen Einkommensgruppe stieg das Auftreten depressiver Symptome von 2019 bis 2024 von 16 auf 32,9 Prozent. In der hohen Einkommensgruppe gaben 2019 6 Prozent Symptome an, 11,7 Prozent im Jahr 2022 und 2024 nur noch 8,4 Prozent. Das Studienteam führt die Entwicklungen darauf zurück, dass zu Beginn der Covid-19-Pandemie alle Gruppen in ähnlichem Maße belastet waren und ab 2022 zusätzliche Stressfaktoren wie die Preissteigerungen für Energie und Nahrungsmittel hinzukamen. Diese belasteten vor allem einkommensschwächere Haushalte.
Aufgrund des Studiendesigns sind aber keine eindeutigen kausalen Zusammenhänge nachweisbar, meinen Experten in einer Bewertung der Untersuchung. Grundlagen und Methodik der Studie werden indes als solide, die Ergebnisse als belastbar bezeichnet, zumal sie Untersuchungen aus anderen Ländern bestätigen.
»Dass die Unterschiede zwischen den sozialen Gruppen aktuell aber weiter ansteigen, ist eine neue und wichtige Information«, kommentiert Nico Dragano, Direktor des Instituts für Medizinische Soziologie am Universitätsklinikum Düsseldorf. Seine Folgerung: »Soziale Ungleichheit ist für die Gesellschaft als Ganzes schlecht, denn sie verursacht nicht nur unnötiges Leid, sondern auch enorme Kosten im Gesundheitssystem und in anderen Bereichen – zum Beispiel bei den Arbeitsunfähigkeitstagen. Eine Reduktion wäre eine Investition in ein stabileres Sozialsystem.«
Benachteiligte Gruppen hätten ohnehin schon eine höhere Gesundheitsbelastung, sagt Verina Wild, Leiterin des Instituts für Ethik und Geschichte der Gesundheit an der Universität Augsburg. Zu den Faktoren gehörten mehr Stress am Arbeitsplatz, ein ungünstiges Wohnumfeld, höhere Umweltbelastung und Diskriminierungserfahrungen.
»Das Risiko steigt dann in Krisenzeiten, verstärkt Schaden zu nehmen«, so die Medizinethikerin. Auch sie fordert, die »gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen zu verbessern, die mit dem eigenen Verhalten so gut wie gar nicht zu beeinflussen sind«. Dazu gehörten gesunde Arbeitsplätze, faire Einkommen, gute Sozial- und Pflegesysteme sowie flächendeckende psychologische und psychotherapeutische Versorgung.
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