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Die Uberlebenschance scheint gefunden

  • Frank Stur
  • Lesedauer: 4 Min.

Die letzte Preiserhöhung vor gut zwei Monaten steckt den meisten der Leserinnen und Lesern der Jungen Welt noch in den Knochen. Da droht schon wieder ein neuer tiefer Griff in die morgendliche Hosentasche. 1,30 DM kostet die Berliner Tageszeitung ab 28. Dezember am Kiosk. 29,80 DM kostet zukünftig das monatliche Abonnement. Der bisherige Preis von 23,80 DM gilt von jetzt an als ermäßigter Preis für Studenten.

Grund hierfür, so der Geschäftsführer der herausgebenden Verlagsanstalt in Berlin GmbH, Peter Großhaus, in der heutigen Ausgabe, sei der nach wie vor nicht gestoppte Rückgang der verkauften Auflage. Von rund 70 000 Exemplaren im Februar sank sie kontinuierlich auf 55 000 im vergangenen Monat. Verschärfend wirke die Steigerung der allgemeinen Kosten.

„Ich muß aufhören, immerzu Feuerwehr zu spielen.“, erläutert der Berliner Verleger seine Beweggründe für die Erhöhung in einem ND-Gespräch. Bisher könne er den Entwicklungen nur hinterher laufen, den Abwärtstrend nicht stoppen. Mit der jetzt erfolgten Preiserhöhung erhofft er sich eine Stabilisierung, wenngleich auch auf niedrigerem Niveau als bisher. 35 000 nennt er die magische Grenze.

Für die rund 60 Mitarbeiter der Redaktion indes kommt die Preiserhöhung wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Sie erfuhren die schlechte Kunde durch einen lapidaren Aushang. Gesprochen wurde mit ihnen darüber nicht, obwohl es sehr offene Gespräche zwischen Geschäftsführung und Redaktion gab.

So war dies für viele Redakteure nur der letzte Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte. Fehlende Transparenz der Unternehmensstrukturen und Vertrauensmißbrauch lautet der Hauptvorwurf der .TW-Mitarbeiter, den sie heute auf Seite 2 erheben. pbens'er'Krttisieren' sie>* neuten -Vertrauensbruch ge> genüT^'r^e»'43e&erIniie&,«di über die Preiserhöhung zuerst von dpa hörten, anstatt von der Zeitung selbst.

„Für uns ist die neuerliche Preiserhöhung nicht nachvollziehbar“, so Betriebsrat Dietmar Koschmieder gestern nachmittag. „Die Seitenverringerung (Einsparung bei der Montag- und Freitagausgabe) und die erste Preiserhöhung brachten Mehreinnahmen. Wo sind diese geblieben?“, fragt nicht nur er. An Anworten fehlt's. Spekulationen blühen.

Ein gestörtes Betriebsklima, das auch die gestrige Belegschaftsversammlung überschattete. Tiefes Mißtrauen und Skepsis von Seiten der Redaktion. Dennoch finden die Vorstellungen von Großhaus, die Zeitung in die Hände der Mitarbeiter zu geben, breite Zustimmung. Ungeachtet dessen, daß die taz mit einem derartigen Modell gerade

Schiffbruch erlitt, heißt „Mitarbeiterbeteiligung“ das Zauberwort. Damit hoffen alle Beteiligten das Überleben der „linken, frechen und ökologischen Stimme aus dem Osten“ zu sichern.

Für die Redakteure funktioniert dies nur unter drei Bedingungen, festgehalten in einer gestrigen Erklärung: „1. Transparenz der Strukturen und der realen wirtschaftlichen Lage der direkt beteiligten Firmen“, „2. reale Mitwirkungsmöglichkeiten, die im Gesellschaftervertrag eindeutig fixiert werden“, 3. echte Mitwirkungsmöglichkeiten und Einblicke in die Ge-

sphäftshiiohpr ah sofort

Betriebsrat Dietmar Koschmieder ist sich durchaus bewußt, daß es für den dritten Punkt keinerlei juristische Grundlagen gibt. Aber wenn sich die Belegschaft am eigenen Betrieb beteilige, müsse sie vorher zwei Fragen geklärt haben: Wie sieht die materielle Basis aus? Und wie reagiert die Leserschaft auf die neuerliche Preiserhöhung?

Dennoch äußert er sich optimistisch. „Die Chance besteht darin, daß die Leute die Sache hier selbst in die Hand nehmen. Für uns ist dieses Produkt nur als Beteiligungsmodell denkbar.“, macht Koschmieder die Position der Redaktion klar. Auch wenn derzeit die Stimmung gedrückt sei und die richtige Perspektive noch fehle. Doch das könne sich ändern. Nur müsse die Geschäftsführung beginnen, endlich „mit offenen Karten zu spielen.“

Als einen Schritt zur Herstellung des unbedingt nötigen Vertrauensverhältnisses und zur Erarbeitung eigener Vorschläge wählten die JW-Mitarbeiter den sogenannten dreiköpfigen „Aktionsausschuß“ Eine Art Interessenvertretung der Belegschaft für die Vorbereitung des angestrebten Beteiligungsmodells. Zwei „redaktionsöffentlich tagende“;;' Arbeitsgruppen! wurden eingesetzt,'von der

schiedetfer Gesellschaftsformen ergründet. Die andere entwickelt Konzepte gegen einen weiteren Auflagenrückgang.

Der Anfang seitens der Redaktion ist also gemacht. Auch Peter Großhaus scheint umzudenken, räumte ND gegenüber Fehler ein. Was jetzt Not tue, sei ein gemeinsamer Lernprozeß, bei dem man aufeinander zugehe. Den Leser wollen beide Seite an diesem Prozeß teilhaben lassen. An dessem Ende soll ein Unternehmensmodell stehen, das die Junge Welt „lebensfähig, unersetzlich und einmalig erhält“ Die dabei vom Leser geforderte Geduld wird nötig sein. Denn noch scheinen sich beide Seiten nicht ganz im Klaren darüber zu sein, daß sie letztlich im gleichen Boot sitzen.

FRANK STURM

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