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  • Politik
  • Alexander Lang inszenierte Gorki am Berliner Schiller Theater

Verschlungenes Spiel um echtes Gold und falsche Münze

  • GERHARD EBERT
  • Lesedauer: 3 Min.

Alexander Lang stellt am Berliner Schiller Theater Maxim Gorki als nahen poetischen Verwandten Goldonis und Becketts vor. Elegante Turbulenz und possierliche Absurdität. Aber die Szenen „Die falsche Münze“, von lockerer Fabel und oft im Detail verharrend, werden von Lang nicht verwesentlicht, sondern zerspielt. Warum diese zahllosen leeren Gänge, dieses häufige Anstoßen und Fallenlassen, diese huschende Unrast aller Figuren, diese spielautomatischen Abläufe?

Gewiß, Jakowlew, Gorkis Hauptfigur, ist ein Uhrmachermeister, ein Experte sozusagen mechanisierter Unruhe und ständigen Drehens und Pendeins. Auf solch abstrakte Überlegung einen Theaterabend gebaut? Ein ganzer Haushalt als schnurrendes Uhrwerk? Die hektische Betriebsamkeit im Hause Jakowlew, das von Caroline Neven du Mont als kahles, kaltes Zelt installiert ist, legt sich wie eine Manier über die Gestalten, erzählt Konfusion statt Motivation.

Einst konnte Alexander Lang sensibel konkret sein, Figuren auf ihren realistischen Kern bringen und das

komplizierte Netzwerk sozialer Beziehungen knüpfen. Hier verliert er sich in artifizielle Spielerei. Komik erwächst nicht mehr aus genau erkundeter Situation, sondern ist, phantasievoll zwar, aufgesetzt, äußerlich, willkürlich.

Dabei ist der Griff zu diesem Stück aus den Jahren 1913/26 so überaus logisch und richtig. Gorki empört sich gegen pessimistische Bewertungen des Menschen, gegen Dostojewskische Düsternis des Lebens. Wer hat solch Aufbegehren nötiger als diese Zeit! Von der Bühne Mut und Glaube an die Zukunft zu geben, welch aktuelle Aufgabe.

Aber die Impulse bleiben aus. Sollte schon Gorki, der Bittere, zuviel versprochen haben? Wie auch immer. Dies verschlungene Spiel um echtes Gold oder falsche Münze, um Wahrheit oder Heuchelei, um eheliche oder uneheliche Tochter, um ehrliche oder verlogene Liebe, um Sünde oder Vergebung, um krumme oder lautere Geschäfte, gar um selbstgeschossene oder gekaufte Enten - dies symbolische Relationen häufende Spiel braucht definitive Regie, braucht Beredtsamkeit. Die Irritationen um das Stück

scheinen im Nachhinein verständlich. Zumindest, wenn wie hier die Regie die Substanz vernachlässigt und Zusammenhänge zu erzählen versäumt. Lang überläßt es im Grunde den Figuren, sich durch die quirlige Unruhe hindurch real bemerkbar, menschlich verständlich zu machen.

Das gelingt den Schauspielern unterschiedlich gut. Am ehesten überzeugte mich Steffi Kühnert als Jakowlews Ehefrau. Sie gibt diese vom Ehemann und von der Stieftochter Natascha herumkommandierte Polina mit anrührender Innerlichkeit. Das Umtriebige, Verstörte dieser wegen Kindesmordes angeklagten, aber mangels Beweisen freigesprochenen, von Jakowlew aus Mitleid geheirateten Frau, ist elementar, ist gefüllt von der wehen Ernsthaftigkeit einer gequälten Mutter. Gegenüber Stogow (Gerald Fiedler), dem Vater ihres totgeborenen Kindes, der vorgibt, sie noch immer zu lieben, kann sie für Momente sanft und gütig sein.

Respektabel auch Susanna Simon als Natascha, die vermeintliche Tochter Jakowlews aus erster Ehe. Ein junges,

seelisch schon kaputtes Fräulein wird schaubar: Scharf von Intellekt, flotte Denksprüche auf der Zunge, sachlich, nüchtern, machtausübend, die Stiefmutter demütigend.

Hilmar Thate als Jakowlew, ständig in weißem Mantel und mit Hut auf dem Kopf, das Gesicht versteckt hinterm Privatbart, ist eher ein potentieller Clown denn ein möglicher Falschmünzer. Dieser Jakowlew ist wie eine Art Wettermännchen, das alleweil unschlüssig ins Häuschen schlüpft, nämlich in den Uhrenladen, den ihm Neven du Mont inmitten der Bühne errichtet hat. Welch seltsame, sprachlich unausgeglichene skizzierende Oberflächlichkeit statt bündiger Menschengestaltung.

Den Untersuchungsrichter Kamskoi, Nataschas Vater, mimt drastisch Erich Schellow Die clevere Gebrauchtwarenhändlerin Bobowa bringt Uta Hallant, den dicken Hahnrei Jefimow Matthias Brenner und den geisteskranken Erbschafts-Sachwalter Lusgin Stefan Merki.

Der Beifall freundlich, die obligaten Rufe verhalten.

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