Mit Argus Augen

Wie Eberhard Fensch das Fernsehen wollte

  • Hanno Harnisch
  • Lesedauer: 4 Min.
Wurde die Medienpolitik der DDR von einem einzigen Mann gemacht? Von Erich Honecker ist der Satz überliefert: »Das Fernsehen ist Teil des Parteiapparates und wie eine Abteilung des Zentralkomitees zu behandeln.« Für dieses Fernsehen hatte er wenigsten noch einen Koch bei sich. Der hieß Eberhard Fensch. Es war hinter Werner Lamberz und später hinter »Medienzar« Joachim Herrmann der wichtigste Mann. Beide wie auch der Leiter der Abteilung Agitation Heinz Geggel sind tot. Fensch ist somit der letzte hohe Funktionär aus diesem Bereich. Eberhard Fensch, Jahrgang 1929, lebt heute als Rentner auf Usedom lebt, und es hat ihn gedrängt, ein Buch zu schreiben. Bei manchen Erinnerungen ist man geneigt zu sagen, hätte er sie doch besser für sich behalten. Nicht so in diesem Fall einer Innenansicht aus dem riesigen und allmächtigen Apparat der SED. Anekdotisch, geradezu launig berichtet Fensch über seine Beziehungen zu Manfred Krug, Armin Mueller-Stahl, Helga Hahnemann, Frank Beyer und vielen anderen. Weit über hundert »Reisewünsche« von Künstlern gehen allein über seinen Tisch. Fensch schreibt auch hochinteressante Sachen über seinen Freund Dean Reed, dessen Leben demnächst in Hollywood von Tom Hanks verfilmt wird. Nicht ganz so vergnüglich wird es allerdings, wenn jenseits von persönlichen Freundschaften oder Zweckbeziehungen zwischen Künstlern und dem Mann des Apparats versucht wird, die Mechanismen zu erklären, die der Funktionär Fensch mit sehr viel persönlichem Einsatz am Funktionieren hielt. Zum Beispiel im Kapitel »Alltag eines Medienlenkers«. Zitat: »Einmal wöchentlich führt der Abteilungsleiter die so genannte Argumentation durch, an der die Chef der zentralen Massenmedien der DDR - vom Neuen Deutschland über die Illustrierten bis zu Fernsehen und Rundfunk - teilnehmen. Diese Sitzung findet immer 10 Uhr am Donnerstag statt. Dieser Wochentag wurde deshalb gewählt, weil die Führungsgremien der SED, also das Politbüro und das Sekretariat der Zentralkomitees, jeweils dienstags bzw. mittwochs tagen und die dort getroffenen Entscheidungen in der "Argu" ausgewertet werden sollen. (Und anderentags, am Freitagnachmittag, erfolgt in den meisten Redaktionen vor den Abteilungsleitern die Wiedergabe des Gehörten. Das fließt dann gleich in die Planungen für die nächste Woche mit ein.) Mit der "Argu" findet die eigentliche Lenkung der Medien der DDR durch die SED statt, dort wird "vorgeschlagen", was gedruckt und gesendet werden soll und was nicht. Auch Sprachregelungen werden vorgenommen. Allerdings bietet die "Argu" für die Arbeit der Medien durchaus auch nützliche Informationen. Die Chefredakteure erfahren aus erster Hand, exklusiv, oft auch vertraulich, welche Beschlüsse Parteiführung und Regierung gefasst haben und was sie beinhalten...Vieles wird per Telefon erledigt. Meine langjährige Sekretärin Waltraud Marciniak führt spaßeshalber an manchen Tagen Buch. Mitunter kommen während der zwölf bis vierzehn Stunden Arbeitszeit - die die Regel bedeuten - an die hundert Telefonate zusammen.Die wichtigsten Chefredakteure sitzen bei Herrmann am Tisch. Sie bekommen gesagt, was wichtig ist und auch so in ihrem Medium zu behandeln ist. Fast alles, was Herrmann dabei verkündet, hat er sich zuvor von Erich Honecker absegnen lassen. Der Chefredakteur des Zentralorgans bekommt Hinweise, wie Aufmachung und Spiegel der morgigen Ausgabe des Neuen Deutschland auszusehen hat. Das geht bis ins Detail. Diverse Überschriften werden vorgegeben, die Platzierung der Fotos - welche Seite, welche Größe - und wie viele Spalten dieser oder jener Beitrag füllen dürfe oder müsse. Mitunter wird sogar die Schrifttype diktiert - so zeigt der Sekretär, dass er selber mal Chefredakteur war und sich auskennt mit solchen Sachen.« Wenn man das so liest, wirkt der Rückblick von Fensch doch sehr bemüht um Erklärung, eine mögliche Analyse bleibt er uns schuldig. Immerhin wird der Mechanismus der Zensur, der Einflussnahme einer Zentrale auf alles, was flimmerte und rauschte, von einem Einflussnehmer beschrieben. Erinnerungen (allerdings öffentlich erst nach der Wende geäußert) von ehemaligen Chefredakteuren an die Donnerstags-»Argu« fallen da weitaus kritischer und selbstkritischer aus. Eberhard Fensch wird 1990 nicht Pressesprecher von RTL, wie ein Gerücht damals kursierte. Er schreibt einen - noch heute lesenswerten Brief - (zu finden im Buch) an den Rundfunkabwickler Mühlfenzel. War Fenschs arbeitsreiches und bewegtes Leben, wie er schreibt, »ein "Täterleben", wie es von jenen Geschichtsdarstellern denunziert wird, die heute in Deutschland das Meinungsbild über die DDR prägen und bestimmen«? Es war ein Macherleben, im Zentrum der Macht. Eberhard Fensch: So und nur noch besser - Wie Honecker das Fernsehen wollte, edition ost,255 S., br., 14,90 EUR
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