Wahrhaftig steckt die Kunst in der Natur

Die Wiener Albertina zeigt das Werk Albrecht Dürers

  • Gert Claußnitzer
  • Lesedauer: 5 Min.
So viel Bewunderung, ja Liebe ist wohl keinem anderen deutschen Maler zuteil geworden. Die Verehrung des Nürnbergers Albrecht Dürer ist ungebrochen. Eine überragende Erscheinung der Renaissance. Und von wahrhaft enzyklopädischem Geist! Mit den großen Humanisten seiner Zeit vertraut. Er verlässt die mittelalterliche Bildtradition und dringt zu »modernen« Gestaltungsmöglichkeiten vor. »An Dürer denken heißt Liebe, Lächeln und Sicherinnern«, schreibt 1928 Thomas Mann. Und: »Es heißt Besinnung auf Tiefstes und Überpersönlichstes, das außerhalb und unterhalb liegt der fleischlichen Grenzen unseres Ichs, es aber doch bestimmt und ernährt.« Und dann fügt er weise hinzu: »Es ist Geschichte als Mythos, die immer Fleisch ist und Gegenwart.« Man sollte sich solche Worte vergegenwärtigen, wenn man durch die Dürer-Ausstellung der Wiener Albertina wandelt, eingerichtet anlässlich seines 475. Todestages. Höhepunkte der Malerei und Grafik in schicksalsschweren Zeiten, als apokalyptische Ängste die Menschen quälten! Und dann die »Sendung« dieses Künstler, »Auseinandersetzung mit Welt und Wirklichkeit« suchend. Man ist bewegt von den Bildnissen der Zeitgenossen, die Dürer gemalt hat, von der Strenge seiner Selbstdarstellungen, der verblüffenden Naturtreue seiner Aquarelle, dem »Feldhasen«, dem »Rasenstück«, Höhepunkte von Dürers Naturstudien. Gerade das Häschen ist ja buchstäblich jedem Schulkind ein Begriff geworden. Niemals zuvor wurde Natur so gezeichnet, mit dieser Sachlichkeit und Präzision! »Wahrhaftig steckt die Kunst in der Natur« schrieb bekanntlich Dürer. Ein Leitmotiv seines Schaffens. Dabei ist es nicht Nachahmung, sondern Gestaltungswille, der ihn Pinsel oder Feder führen ließ. Seit 1971 hat es in Wien eine derart umfassende Retrospektive Dürers nicht mehr gegeben. Damals präsentierte Walter Koschatzky zum 500. Geburtstag Dürers in der Albertina den hauseigenen Bestand der Dürer-Grafik, sowie einen kritischen Katalog der Zeichnungen. Klaus Albrecht Schröder, der neue Direktor der Albertina, sieht sich nunmehr in die Pflicht genommen. Er ist ein Erbe jener legendären streng historisch-philologischen »Wiener Schule«. Man denke nur an Moritz Thausing, der als erster das Dürer-Werk kritisch sichtete, oder an Hans Tietze, der 1928 wertvolle Forschung betrieb. Schröder liegt nichts an einer neuerlichen Bestandsanalyse des erstklassigen Albertina-Besitzes, er möchte vielmehr eine möglichst vollkommene Darstellung von Dürers Denken und Schaffen vermitteln, um, wie er betont, die »Dynamik seiner stilistischen Entwicklung wieder erlebbar zu machen«. Dazu wurden jetzt »Schlüsselwerke« aus aller Welt herbeigeholt, sodass nicht nur Grafik gezeigt werden kann, sondern auch Gemälde präsentiert werden, die mit dieser Grafik ja in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen. Alles mithin im Sinne dieser »historisch-philologischen« Sicht auf das Gesamtwerk. Natürlich hat es auch seinen Reiz, weit verstreute Gemälde wieder an einem Ort sehen zu können. Die »Haller-Madonna« aus Washington, das »Selbstbildnis« von 1498 aus Madrid, den »Heiligen Hieronymus« aus Lissabon zum Beispiel. In einem Spannungsbogen ohnegleichen werden dazu Entsprechungen geboten, und, soweit vorhanden, auch Vorstudien. Das hat es in dieser Weise noch nicht gegeben. Es gibt also genügend Raum für gedanklich- theoretische Anschauungen in dieser Werkzusammenführung, wobei auch der ästhetische Genuss nicht zu kurz kommt. Neben der doch relativ bekannten Druckgrafik, den Folgen »Die Apokalypse«, »Das Marienleben«, »Die Große Passion«, sowie den Kupferstichen, kann der Betrachter eine Fülle nur selten gezeigter Zeichnungen sehen, etwa jene, die im Zusammenhang mit dem »Rosenkranzfest« stehen oder die Vorstudien zum »Heller-Altar«. Und man erhält hier gleichsam einen Einblick in die mühevolle Detail-Arbeit des Malers. Freilich, solche Zeichnungen stehen auch für sich selbst, sind als autonome Werke zu betrachten in ihrer Wucht und Schwere. Es ist etwas darin von jenem »Pathetischen Realismus«, wie es Friedrich Winkler mit Blick auf Dürer formulierte. Selbst im kleinsten Format noch Größe und das Bestreben, ein Ganzes, Vollkommenes zu bilden. Und was für eine Plastizität mitunter! Die fließenden Übergänge von Licht und Schatten, die lineare Rhythmik, man fühlt sich an Werke aus dem 18. Jahrhundert erinnert. Wahrlich, Dürer »ist am größten im kleinsten« - hatte schon Egon Friedell zu recht behauptet. Und dann eben bei Dürer zum ersten Mal dieser ungeheure Bruch mit der Tradition! Die Entdeckung der Welt des Menschen! Ja, die restlose Versenkung ins Menschenbild, in seine seelische Verfassung. Dürer vermochte Fremdes in sich aufzunehmen, und er ist da, wie Dehio sagte, »über sich selbst hinausgewachsen«. Ein Mensch, der die Malerei als eine so ernste Lebensaufgabe ansah, von einem ruhelosen Streben nach immer mehr und immer größerer Vollkommenheit erfüllt - auf das »Faustische« bei Dürer hatte schon Carl Gustav Carus verwiesen -, war ja wie geschaffen, das Erbe der Antike in den »hohen Norden« zu tragen. Früh schon hatte sich Dürer für Stiche Mantegnas interessiert, und er hatte sich auf seinen Reisen in Italien mit Bellini bekannt gemacht. Der nackte Mensch tritt in sein Blickfeld. Die Ausstellung zeigt exemplarische Beispiele dazu: das »Männerbad«, das »Frauenbad«, »Apollo und Diana«, auf das Cranach zurückkommen sollte. Dürer hatte über Italien den Geist der Antike erfasst und begriffen. Und es ist bezeichnend, dass er darin so gefestigt war und auf die italienische Kunst zurückwirken konnte. Gerade über diesen Tatbestand kann man heute nicht gleichgültig hinwegsehen, denn er betrifft unsere unrühmliche Geschichte und das verfälschte Dürer-Bild. Es waren die Nazis, die das Italienbild Dürers einschränkten und den Maler als Führer gegen »Verwelschung« priesen. Selbst ein Kunsthistoriker wie Pinder war auf ihren »Propagandazug« gesprungen, indem er Dürer »wahrhaft nordische Größe« bescheinigte. So mancher hat vielleicht heute noch ein negatives Dürer-Erlebnis, wie Jean Amery zum Beispiel, der allerdings zugestehen muss, dass Dürer von der »Geschichte modelliert« wurde. Wer die Wiener Ausstellung auf sich wirken lässt, wird erkennen können, dass da relativ wenig von dem so genannten spezifischen Sinnbild deutscher Innerlichkeit übrig bleibt. Nichts Demütigendes, Kleinliches, jene biedere »Sinnigkeit«, sondern eher eine verblüffende Naturwahrheit und geradezu vernichtende Sachlichkeit, wenn man an die leidenschaftlichen Selbstdarstellungen Dürers denkt, »ins menschlich Problematische gewendet«, um es mit Richard Hamann zu sagen, Werke voller sittlicher Selbstbesinnung. So entkleidet die Wiener Ausstellung Dürer von manchem Dogma und von jeder engen Betrachtung, ja, sie preist ihn vielmehr als Entdecker des humanen Weltbildes. Albertina, Albertinaplatz 1, Wien: Albrecht Dürer. Bis 30.11., Mo, Di, Do-So 10-18, Mi 10-21Uhr. Katalog 29

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