Einst Kampfreserve - heute »Briefkastenfirma«

Einige Aktivisten halten die Fahne der Freien Deutschen Jugend auch 14 Jahre nach der Wende hoch

  • Matthias Koch
  • Lesedauer: 4 Min.
Frage nicht nach ihrer Zahl. Stärke sie!«, heißt eine der Losungen der Rudimente der Freien Deutschen Jugend (FDJ). Die frühere Kampfreserve der SED ist in die Jahre gekommen, aber noch da. Inzwischen halten teilweise Aktivisten ihre Fahne hoch, die beim Zusammenbruch des politischen Systems noch Kinder waren. Einer von ihnen ist Ringo Ehlert. Der 26-jährige Vorsitzende des Zentralrats der FDJ trägt die DDR nicht nur symbolhaft auf dem Koppelschloss, sondern auch im Herzen. »Ich bin in der DDR aufgewachsen. Als ich 12 Jahre alt war, übernahm die BRD mein Land - wie ich später erkannte, in einem Akt berechnender und widerrechtlicher Annexion«, so der gelernte Maurer in der Broschüre »Ringo Ehlert kontra Bundeswehr«. Die vorläufige Bilanz Ehlerts nach seinem »Nein zur BRD und ihrer Armee« gipfelte nach Totalverweigerung, Fahnenflucht und Aufgreifen durch das Feldjägerdienstkommando Berlin in einer 76-tägigen Einzelhaft und der unehrenhaften Entlassung aus der Bundeswehr. Fortsetzung folgt: Am 13. Januar muss er sich in dieser Angelegenheit wieder vor dem Amtsgericht Ueckermünde verantworten. In der Nationalen Volksarmee der DDR hätte Ehlert gedient, »nicht aber für die Angriffsarmee« des wiedervereinigten Deutschlands. Dennoch: Ehlert ist seit dem letzten FDJ-Parlament im November 2002 Chef der gesamtdeutschen FDJ. Auf die Frage, was übrig geblieben ist von den über zwei Millionen FDJ-Mitgliedern in der Blütezeit zwischen 1976 und 1989, wollen die Blauhemden meistens nicht so recht heraus mit der Sprache. Ehlert macht eine Ausnahme: »Die Mitgliederanzahl ist dreistellig.« Nachprüfen lässt sich das nicht. Die Mitgliederdateien sind wohl behütetet. Die Kontaktaufnahme zum Zentralrat ist zudem äußerst beschwerlich. Unter der Berliner Telefonnummer meldet sich nur ein Band - Rückrufe erfolgen nicht. Auch die offizielle Adresse im Berliner Karl-Liebknecht-Haus ist mehr Schein als Sein. Die FDJ ist dort nur eine »Briefkastenfirma«. »Einmal wöchentlich hole ich die Post ab. Wir können die Miete für einen eigenen Raum nicht aufbringen«, erklärt Ehlert. Wo soll das Geld auch herkommen. Der Beitrag für die Mitglieder, die wie früher im Alter von 14 Jahren dazu stoßen können, ist eher symbolisch: Ein Euro monatlich, Besserverdienende zahlen mehr. Außerdem soll der Treuhand-Nachfolger auf Außenstände pochen... Trotz der bescheidenen Rahmenbedingungen versucht die FDJ ab und an, mit Einzelaktionen auf sich aufmerksam zu machen. Beim »Einheizmarkt« der PDS am 3. Oktober in Berlin erklommen zwei Aktivisten das Dach des Palastes der Republik. Dort ließen sie ein 17 mal 2,80 Meter großes Transparent mit der Aufschrift »Wir sind noch da!« herab. Bevor ein Security-Mann die Aktion beendete, konnten sie zudem rund zehn Minuten dazu die FDJ-Flagge und eine rote Fahne mit den Bildnissen von Wilhelm Pieck und Ernst Thälmann schwenken. Die FDJler sollen gleichmäßig auf die neuen und alten Bundesländer verteilt sein. Bei Flugblattaktionen gibt es jedoch immer zwei verschiedene Versionen. Ehlert: »Eine für die annektierende BRD und eine für die annektierte DDR.« Im Osten ist die FDJ halt immer noch ein Begriff. Beziehungen zur PDS sind aber gleich Null. Das einstige Mutterschiff lehnt die Blauhemden anno 2003 nicht unbedingt ab. »Um sich von etwas distanzieren zu können, muss es auch da sein. Mit der Aktion auf dem Palast, die ich nicht schlecht fand, habe ich die FDJ seit 1993 mal wieder in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Was sie wollen, weiß ich nicht so richtig«, meint PDS-Bundesgeschäftsführer Rolf Kutzmutz. Über die Ziele habe man bei der FDJ oft gesprochen. Ein Programm gebe es allerdings nicht. »Angesichts der derzeitigen Situation in diesem Land müssen wir bei ganz einfachen Dingen - wie dem Kampf um bürgerliche Rechte und dem Vorleben von Antifaschismus - beginnen«, so FDJ-Chef Ehlert. Dabei richte man sich nach einem Statut. Das FDJ-Symbol mit der aufgehenden Sonne ist dort weiterhin festgelegt. Der Begriff Kampfreserve taucht aber nicht mehr auf. Dennoch gab der Zentralrat der FDJ im Vorfeld vergangener Wahlen jedes Mal die Empfehlung aus, für die PDS zu stimmen. In Zukunft müsse diese Haltung aber noch diskutiert werden, so Ehlert. Politisch scheinen sich die Blauhemden trotz des seit 1951 im Westen Deutschlands bestehenden Verbots zu einer geduldeten Gruppe zu entwickeln. Auch mit der Attac-Bewegung gebe es keine Gemeinsamkeiten. »Was wird? Keine Ahnung. Ich habe keine Zeitmaschine im Keller«, betont Ehlert. Kurzfristig wolle man sich auf alle Fälle an den Demonstrationen gegen den Sozialabbau beteiligen. Um den Jahreswechsel herum findet eine »Winterschule« im französischen Oradour-sur-Glane unter der Thematik »Deutsche Verbrechen in Frankreich während des Zweiten Weltkrieges« statt. www.FDJ.de
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