Die Flügel »Utopiens«

Hans-Otto-Preis für Christoph Schroth

  • Ingrid Mattern
  • Lesedauer: 3 Min.
Er selbst habe keine Utopien mehr, aber die Sehnsucht danach. Christoph Schroths Theaterarbeit am Berliner Maxim-Gorki Theater und der Volksbühne, in Halle, Schwerin und schließlich in Cottbus lief nicht geradlinig auf eine solche und schon gar nicht auf diese alleinige Erkenntnis hinaus. Die Gewissheit, dass es wieder etwas geben wird, was man denken, was man träumen, wonach man sich sehnen könnte, ist es, die einem wie Schroth ins Gesicht gezeichnet ist, die den freundlichen, aufmerksamen Mann mit den neugierigen Augen auch nach 1989 weiter arbeiten ließ. Das hieß für ihn einen Bruch zu vollziehen, mit dem Bisherigen, um das Neue überhaupt in den Blick bekommen zu können. Ein schwieriges Suchen nach dem Gegenstand der Utopie in veränderter Landschaft. In Cottbus ist ihm dann, achtmal hintereinander, solches gelungen. »Zonenrand-Ermutigung« hieß das Spektakel dem sich das zunächst reservierte Cottbuser Publikum dann doch nicht entziehen konnte. In der östlichsten Gegend des Ostens den Entwurf dafür zu inszenieren, wie es anders, besser, freier, freundlicher in der Welt zugehen könnte, ist ein schwieriges Unterfangen an einem Ort, der geographisch und im Geiste weit entfernt von den neuen deutschen Metropolen in Resignation abzukippen droht. Schroths Empfindsamkeit war der Schlüssel, dass die Leute in seinem Theater zu fühlen lernten, dass es auch ihr Theater ist. Denn er änderte sein Konzept nicht, spielte nicht gegen die Einschaltquote an, sondern blieb dabei: Büchner, Brecht, Müller, Braun, Durringer. Gegenwartstheater, um die heutige Situation zu erkennen: Unsere Welt braucht Veränderungen, sagt Schroth, »sie ruht in Utopien, der andere Traum gerinnt zum Schrei: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit«. Solches Theater zu machen gelingt dann, wenn die Erkenntnis, dass Niederlagen unseren Utopien immanent sind, mit derart beruhigter Gewissheit, das heißt im permanenten Zustand der Ruhelosigkeit, Kreativität freilegt und experimentierend innerhalb des Theaters einen Raum schafft, der Verhältnissen gleicht, in denen Menschen in ihrer Begabung, in ihrem Talent miteinander handelnd einer gemeinsamen Arbeit nachgehen. Schwerindustrie, so nennt das Schroth. Gisela Kahl, langjährige Dramaturgin an seiner Seite, setzt in ihrer Laudatio den Punkt genau dort: In dem Wert der Ensemblearbeit an sich. Die Aufführung selbst wäre dann der Leichtindustrie zuzurechnen. Zu Christophs Schroths bisherigem Lebenswerk gehört neben der künstlerischen Leistung zweifellos diese Besinnung auf ein Theater der freien Entfaltung des Einzelnen als Bedingung für die freie Entfaltung aller. Sein Studium des Marxismus, begonnen in den endsechziger Jahren als Reaktion auf das Verbot seiner Inszenierung des »Yerma«-Stücks von García Lorca, nahm ihn ein für die Idee, den Menschen als Kulturwesen zu begreifen und ihn nicht der entfremdeten Arbeit auszuliefern. Am Sonntag erhielt der 1937 in Dresden geborene Regisseur und Theatermann Christoph Schroth den »Hans-Otto-Preis«. Verliehen wurde er vom gleichnamigen Förderkreis des Kulturvereins »Kleine Freiheit« an ehrwürdigem Ort, im Gewölbe des Schlosstheaters der sächsischen Landeshauptstadt. Als Gunild Lattmann, die langjährige Intendantin des »Theaters Junge Generation« in Dresden und heutige PDS-Landtagsabgeordnete die Preisverleihung begründete, erinnerte sie an den ebenfalls in Dresden geborenen und von den Nazis am 24. November 1933 ermordeten Schauspieler und Antifaschisten Hans Otto. Der Hans-Otto-Preis, dessen Tradition aus der DDR-Zeit in Dresden wieder aufgenommen wurde, wurde in diesem Jahr - nach Katja Langnäse und Eddy Soccoro im Jahr 2000 und dem Berliner Theater 89 im vergangenen Jahr - erneut an einen Künstler verliehen, der dem Stiftungsgedanken gerecht wird: der Verbindung von Kunst und politischer Verantwortung.
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