Gewerkschaftsbeauftragte - wann haben sie Zugang zum Betrieb?

  • GERD SIEBERT
  • Lesedauer: 3 Min.
Beauftragte der Gewerkschaft können jederzeit den Betrieb betreten, um ihre aus der Koalitionsfreiheit des Grundgesetzes (GG Art.9) und aus dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) resultierenden Aufgaben wahrzunehmen. Die einzige Bedingung ist, dass der Arbeitgeber vorher unterrichtet wird (§ 2 BetrVG), auf seine Zustimmung kommt es nicht an. Trotzdem gibt es darüber mit Arbeitgebern immer wieder Meinungsverschiedenheiten und Konflikte: Wie und wann muss der Arbeitgeber unterrichtet werden? Wer darf als Gewerkschaftsbeauftragter den Betrieb betreten? Wann darf er das? Was heißt »Betrieb betreten«? Muss der Arbeitgeber über den Besuchsgrund informiert werden? usw. Zu allen diesen Fragen gibt es hinreichende arbeitsgerichtliche Entscheidungen nach vielen hundert Prozessen. Die Unterrichtung des Arbeitgebers, dass Beauftragte der Gewerkschaft in den Betrieb kommen, kann formlos erfolgen. So genügt z. B. ein Anruf der Gewerkschaft, dass am nächsten Tag oder auch in zwei Stunden Herr/Frau Sowieso zur Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben in den Betrieb kommen wird. Das kann aber auch der Betriebsratsvorsitzende dem Arbeitgeber mitteilen. Der Betrieb kann jederzeit, das heißt während der Arbeitszeit, aufgesucht werden. Grundsätzlich steht dem oder mehreren Gewerkschaftsbeauftragten der gesamte Betrieb offen. Jeder Arbeitsplatz muss zugänglich sein, um z. B. mit Beschäftigten über bestimmte Arbeitsbedingungen oder Arbeitsschutzfragen zu sprechen. Es muss ein betriebsverfassungsrechtlicher Bezug gegeben sein. Der Zugang beschränkt sich nicht auf das Büro des Betriebsrats. Dieser kann ohnehin, wenn eines seiner Mitglieder der Gewerkschaft angehört, zu allen seinen Sitzungen, auch zur Betriebsversammlung, Gewerkschaftsvertreter einladen. Nur wenn die Anwesenheit von Gewerkschaftsbeauftragten den Betriebsablauf erheblich beeinträchtigen, zwingende Sicherheitsbestimmungen verletzen oder berechtigte Betriebsgeheimnisse gefährden würde, hat der Arbeitgeber einen Verweigerungsgrund. Aber ein solcher Fall ist bisher auch von den Arbeitsgerichten nur theoretisch angenommen worden. Die zuständige Gewerkschaft selbst bestimmt, wen sie als Beauftragten in den Betrieb schickt. Das können hauptamtliche Mitarbeiter, aber auch ehrenamtliche Funktionäre sein, die in anderen Betrieben beschäftigt sind. Auch in Betrieben ohne Betriebsrat hat die Gewerkschaft ein Zugangsrecht, wenn sie dort mindestens ein Mitglied hat. Dies ergibt sich aus dem Recht der Gewerkschaft, die Wahl eines Betriebsrats zu initiieren. Eine andere Frage ist die Mitgliederwerbung im Betrieb. Dass im Betrieb beschäftigte Mitglieder mit Prospekten, Flugschriften, Plakaten usw. für ihre Gewerkschaft werben, wird vom Arbeitgeber zwar nicht gern gesehen, ist jedoch rechtlich gedeckt, wenn dies in der arbeitsfreien Zeit, also in den Pausen oder unmittelbar vor und nach der Arbeitszeit (am Tor, auf dem Parkplatz) geschieht. Nach einem Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main sind auch betriebsfremde Gewerkschaftsmitglieder in Wahrnehmung der Koalitionsaufgaben gemäß Art.9 Abs.3 GG zum Betreten des Betriebs berechtigt, um Mitglieder zu werben. Dies sei z.B. dann gestattet, wenn unter Vermeidung jeglicher Störung des Betriebsfriedens und der Betriebsabläufe während der Mittagsöffnungszeit der Kantine Flugblätter, Broschüren oder Formulare verteilt und Informationsgespräche geführt würden (Urteil vom 5. Juni 2003, Az. 1/10 Ca 12731 /02). Die Entscheidung befindet sich in Übereinstimmung mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14. November 1995. Darin wird festgestellt, dass die gewerkschaftliche Werbung Voraussetzung dafür sei, die in Art.9 Abs.3 GG genannten Aufgaben einer Gewerkschaft erfüllen zu können.
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