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Vorsicht Fernsehen - die alternative Programmvorschau

Sendungen, die geeignet sind, Ihnen den Silvesterabend zu verderben I Von peter berger

  • Lesedauer: 5 Min.

Silvesterparty mit Margarethe Schreinemakers (SAT.l, 21.15 Uhr). „Eine Superparty mit irrsinnigen Gewinnen“ verspricht die PR-Abteilung. Es ist zu vermuten, daß auch wieder irrsinnig viel zu lernen sein wird von Margarethe Schreinemakers, die sich mit der Weisheit einer volkshochschulgestählten Briefkastentante den Gretchenfragen des Lebens stellt und ihren zudringlichen Voyeurismus durch den diskreten Charme einer Chefsekretärin mit Küchenbenutzung zu mildern versteht.

Die Karrierefrau aus dem Volke, die sich von diesem nur ein wenig durch ihr Konto auf der Volksbank unterscheidet, kennt kein fremdes Leid und leider auch kein Pardon. Im grellen Licht der Scheinwerfer vergießt sie mit den Vorgeführten gern mal eine Träne, und wenn's denn sein muß, auch ihr Blut: An der Nadel hängend, informierte sie unlängst über die Heilungschancen von Leukämie, und während sie sich das Pflaster andrückte, war sie auch schon bei der nächsten Abteilung. Die war dann dem Knackarsch als „erotischstem Körperteil“ vorbehalten, denn das Dasein hat auch seine schönen Seiten. Themen, die das Leben liefert, soweit es in der Boulevardpresse stattfindet. Was bedeutet: Gesellschaftliche Brisanz ist, wenn sie denn vorkommt, eher Alibi als Anliegen. Vor Wochen plauderte Frau Margarethe mit „Mähnern, die ge-

tötet haben“ und hatte auch einen Herrn geladen, der Hinrichtungsmaschinen konstruiert und die Gaskammern von Auschwitz leugnet. Den hätt' sie gerne „platt gemacht“ zwischen zwei Werbeblöcken und den Kunststückchen eines Geistheilers, aber die Polizei kam ihr dazwischen. Was sie nur darin bestärkt, trotzig weiter alle Lebensfragen missionarisch näselnd flach zu plätten. Gegen Risiken und Nebenwirkungen solcher Seh-Rederei mit therapeuthischem Anspruch, die bei der Bewältigung unserer Alltagssorgen ungefähr so nützlich sein dürfte wie eine Beinamputation bei Durchfall, helfen weder Gott noch Apotheker. Bloß die kleinen Ausschalt-Knöpf chen. Holgers Waschsalon. Die andere Silvestershow (Nord 3 und Hessen 3, 22.30 Uhr). Die Talks bei Witzbold Holger Weinhold sind angenehm anders als die anderen, weil er sich' nicht so furchtbar wichtig nimmt. Der Plauderton ist von jener Art, bei der man sich die Krawatte lockert mit Vorbedacht: Hier ist man Mensch, hier darf man's sein und sich als solcher werbewirksam produzieren. Weshalb der Waschsalon nicht nur allerlei bunte Vögel anlockt, sondern auch Politprominenz von blaßrosa bis dunkelschwarz: Man präsentiert sich gern als das famose Haus, das man nicht ist. Erinnere ich mich recht, stieg hier auch Günter Schabowski nach langer Abstinenz vom Volke_ volksnah in die Hängematte“

Heute treten noch einmal Stargäste des Jahrgangs '93 zum extralangen Waschgang an, darunter: Sachsens Landesmutter Ingrid Biedenkopf, die sich auf ihrem Promotion-Trip für König Kurt um keinen Waschtrog drückt, wenn nur ein Mikro dran befestigt ist. Ferner Charlotte von Mahlsdorf, die mit dem Bundesverdienstkreuz auf schlichter Bluse ihre Thanksgiving-Tour durch die bundesdeutschen Medien absolviert. Und schließlich die Anstandsdame des Berliner Abgeordnetenhauses Hanna-Renate Launen, die hoffentlich nicht ihre Krawatte lockert, aber ganz gewiß ihr gütig Herze wieder auf der Zunge tragen wird - das sich erst jüngst gegen

das Andenken an die ermordete Antifaschistin Katja Nieder kirchner unchristlich verhärtet hat. Spot(t) an! (MDR, 21 Uhr). Im ND kündigt sich unter diesem Rubrum Satire an, der MDR betreibt Nachnutzung für eine neue Show mit Ingo Dubinski. „Was macht man, wenn bei laufender Kamera ein wichtiges Requisit fehlt oder der Partner einer Szene nicht auf der Bühne erscheint?“ fragt schelmisch ein Pressetext, und wir ahnen es: Lachen mit Ingo Dubinski. Es ist der Humor von der optimistischen Art, den der einstige Agit-Beau von „elf99“ problemlos in die ARD überführte: In seiner Sendung „Jetzt oder nie“ entfaltete er einen

Frohsinn, der Berge versetzen sollte, und das möglichst innerhalb von 24 Stunden. Was prompt auch gelang, wenn Goldlocke Ingo mit Hubschrauber und Fernsehkamera vom Himmel schwebte und an die Amtstüren klopfte. Manch Ossi aber, der sich angenehm an die Verheißungen der sozialistischen Menschengemeinschaft erinnert fühlte, mußte im eignen Alltag vergrämt die Erfahrung machen, daß Wunder auch im Kapitalismus gewöhnlich etwas länger dauern, wenn man Ingo grad mal nicht dabei hat. „Bombenstimmung“. Eine Ufa-Revue aus dem Theater des Westens in Berlin. (Bl, 20.15 Uhr). Die zündenden Filmrevuen der Ufa als perfide kalkulierte Politkunst zu entlarven per Rahmenhandlung und geschicktem inszenatorischen Kunstgriff, das war die löbliche Absicht der Baumann-Crew vom Musicaltheater im Berliner Westen. Aber die Balance zwischen Hingabe und Distanz, zwischen Nostalgie und Erkenntnisgewinn war schwierig - für die Leute auf der Bühne wie im Saal. Das Publikum zeigte sich gespalten, die Kritik auch. Das Programm-Management des SFB aber zeigt sich blauäugig: Es installierte den martialischen Tingeltangel im Silvesterprogramm. Als Geschichtslektion? Die Botschaft.dürfte untergehn im pyromanischen Trubel. Als stimmungsvolle Geräuschkulisse? Diese Vorstellung könnte nicht nur jü-

dischen Mitbürgern die Sektlaune gründlich vermasseln. Möglich aber auch, daß andere beim Scherbein einen Mordsspaß an dieser Bombenstimmung finden, ohne sich um den aufklärerischen Zweck der theatralischen Übung zu scheren. Silvesterstadl (ARD, 22 Uhr); Wernesgrüner Musikantenschenke (MDR, 20 Uhr); Die goldene Hitparade der Volksmusik (SAT.l, 20.15 Uhr). „Zum Jahreswechsel grüßen die großen Stars der Volksmusik noch einmal persönlich“, heißt es in einer Mitteilung des Fernsehens an die Presse, und wir geben's gerne weiter. Soll nachher keiner sagen können, es hätt' ihn keiner gewarnt - vor Marianne und Michael, dem Trütsch-Sepp, dem Moik Karl und den Wildecker Herzbuben, die allweil so ausschauen, als wenn sie vor jeder Darbietung erst aufgeblasen werden müßten, um den Ton schön lange halten zu können. Genau genommen ist solch eine Prozedur jedoch nicht nötig. Auf den richtigen Ton kommt's ja nicht an in der Branche, sondern auf das falsche Gefühl. Und auf die falsche Bescheidenheit, den geringen Anspruch an die Kunst wie an das Leben: „So ein Stück'l heile Welt/ hab ich beim Hergott mir bestellt“, trällert seit Jahren ein Blondzopf in den krachledernen Hit-Paraden. Inzwischen ist die Maid herangewachsen, aber die Mitteilung, daß ihre Bestellung eingetroffen ist> blieb sie bis heute schuldig.

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