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Demokratiesuppe, Rhetorikbrot und Karrieresalz

Der „Verein zur Förderung politischen Handelns“ - eine Kaderschmiede für angehende Politiker

  • Lesedauer: 5 Min.

Von CARSTEN OTTE

Hinter dem Kürzel „VFH verbirgt sich der in Bonn-Bad Godesberg ansässige „Verein zur Förderung politischen Handelns“ In Zeiten, in denen Begriffe wie Verdruß und Politik zum „Unwort des Jahres“ verbunden werden, will der VFH nicht nur zum Nachdenken, wie es Deutschlehrer zu tun pflegen, die Böll und Wallraff lieben, sondern auch bundesweit zur politischen Praxis anregen. Wer da angeregt, wie und zu was der eifrige Teilnehmer eines VFH-Seminars angestiftet wird, soll man hier erfahren:

„Der Verein zur Förderung politischen Handelns“ ging aus einer Organisation hervor, die seit Beginn der siebziger Jahre ihr Unwesen in der Bundesrepublik trieb. Es war das „Fortbildungswerk für Studenten und Schüler“ (FWS), welches eine besonders delikate Vergangenheit aufzuweisen hat. Freunden und Förderern des CDU-Nachwuchsverbandes „Junge Union“ und liberalkonservativen Studentengruppen wurde es zu bunt, daß seit den sechziger Jahren „Marxistische Gruppen“ Sozialismus-Schulungen und „Kapital“-Lesekreise veranstalteten. So wurde das FWS mit kräftiger Unterstützung der „Bundeszentrale für politische Bildung“ und Spenden aus der Wirt-

schaft 1971 gegründet. Bundesrepublikanischen Schülern und Studenten sollte die Liebe zum Grundgesetz und zum Kapital - selbstredend nicht zu dem von Marx - gepredigt werden. Daß im antibolschewistischen Kampf auch über die Stränge geschlagen wurde, nahm man in der Regel gern in Kauf. Eingegriffen wurde allerdings, als Gerd-Maria Freimuth, ein ehemaliger Bundeswehroffizier der psychologischen Verteidigung, im Eifer des Gefechts sadomasochistische Erziehungspraktiken in den Seminarablauf einführte. Sein legendäres „Kästchenspiel“, bei dem die Teilnehmer halbe Nachmittage mit dem Ausfüllen der Quadrate karierter Papierbögen verbrachten, um zu testen, ob die Zöglinge auch bei sinnlosen Befehlen gehorchen, schadete mehr als es nutzte: Freimuth mußte gehen, hielt sich aber in der Folgezeit mit dem Abhalten von Managerseminaren ungleich besser über Wasser, als es ihm beim FWS je möglich gewesen wäre.

Die Bildungsarbeit des FWS konnte zwar nicht verhindern, daß es in Wackersdorf, bei der Frankfurter Startbahn West und im Berliner Häuserkampf zur Sache ging, doch die gefürchteten „MC-Schulungen starben kontinuierlich aus. Als zur Freude der FWS-Strategen 1989 sich das Staatsgebiet ver-

größerte, auf dem das Bonner Grundgesetz gelten sollte, schritt man forsch zur Tat: „Um diesen organischen Prozeß in Ostdeutschland kurzfristig überhaupt einleiten zu können, haben wir im Mai und im Juni 1990 die Direktoren aller erweiterter Oberschulen der DDR angeschrieben und über das FWS-Seminarangebot informiert. Zum Teil wurden dabei persönliche Beziehungen als Empfehlung im Anschreiben genutzt“, heißt es im Jahresbericht von 1990. Die persönlichen Beziehungen konnten den Mißerfolg und (Jen finanziellen Absturz aber nicht aufhalten. Schon 1990 wies der FWS-Haushalt eine Dekkungslücke von 13 182 Mark auf, obwohl großzügige Spenden aus Politik und Wirtschaft von rund 1,2 Mio. Mark eingenommen werden konnten. Zwei Jahre später wurde der Bankrott des „Fortbildungswerks für Schüler und Studenten“ erklärt.

Da man aber den „Feinden der offenen Gesellschaft“ (Popper) nicht das Feld der politischen Bildung überlassen wollte, wurde kurzerhand ein neues Unternehmen gegründet. Der „Verein zur Förderung politischen Handelns“, dessen Personal fast vollständig vom FWS übernommen wurde, wirbt seit 1992 bundesweit um Seminarteilnehmer. Bund und Länder haben sich bereitwillig

erklärt, 60 Prozent der Gesamtausgaben zu übernehmen. Es wird aber auch weiterhin auf spendenfreundliche Großunternehmer gesetzt, da die Seminare des VFH kostenfrei angeboten werden.

Das Seminarkonzept des VFH ist in einwöchige „Schülergrundseminare“, „Studentengrundseminare“, „Aufbauseminare“ und „Wochenseminare“ zu speziellen Themen unterteilt. Die Seminare finden bundesweit in Tagungsstätten kleinerer Orte wie Bornheim-Walberberg oder Westensee statt, damit niemand auf den Gedanken kommt, die Nacht in irgendwelchen Etablissements, wo man raucht, trinkt und schwitzt, zu verbringen.

Die Schüler- und Studentenseminare sind nach einem „Roten Faden“ inhaltlich abgesteckt, um zum erwünschten Ziel zu erlangen: Da darf der Teilnehmer zuerst einmal das „Menschenbild der ““Aufklärung“ studieren. Nachdem der sogenannte „Marxismustag“ gezeigt hat, was Unfreiheit bedeutet, steht die „Notwendigkeit von Gewinnstreben im Sinne wirtschaftlicher Effektivität“ im Mittelpunkt des Seminars. Das Grundgesetz der Bundesrepublik bietet dafür laut VFH die nötige Plattform. Und weil die Teilnehmer am Ende des Wochenseminars das auch so sehen sollten, wird ihnen zum Abschluß, nachdem

ihnen der Schlafmangel (jeder Seminartag beginnt um 8 Uhr morgens und endet um Mitternacht) jegliche Kraft zum engagierten Widerstand geraubt hat, die „Bedeutung des begründeten Engagements im Gegensatz zum blinden Aktivismus“ erklärt: Partizipiere an der Flora und Fauna der parlamentarischen Demokratie der Bundesrepublik Deutschland, hab' Mut, denn das tut gut! Wer das alles begriffen hat, darf sich um seine berufliche Karriere kümmern und die Rhetorik-Seminare des VFH besuchen.

Ob ein Teilnehmer die Ehre hat, selbst einmal Seminarleiter zu spielen, kungelt der VFH mit einem mysteriösen Bewertungssystem aus. Zur Seminarelite zu gehören, ist auf jeden Fall der erste Schritt zum Erfolg: Ein Stipendium der „Studienstiftung des deutschen Volkes“ hat so mancher VFH-Funktionär erhalten. Ein Volontariat bei einer renommierten Tageszeitung ist immer drin; ein Praktikum bei patriotischen Bundestagsabgeordneten erhält man mit rechts, weil die Reden, die von FWS- oder VFH-Ideologen geschrieben sind, den parlamentarischen Zuhörern wie Ohrentropfen den Gehörgang runterlaufen.

Kontakt zum VFH über- Ute Rawert und Detlef Kling, Burgstraße 87, 53177 Bonn, Tel.. 0228/365825 u. 365669

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