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  • Kultur
  • Seit zehn Jahren hat Deutschlands größtes Revuetheater, der Friedrichstadtpalast, sein neues Domizil in der Friedrichstraße 107

Geburtstagsfeier ohne Überraschungen

  • Lesedauer: 5 Min.

Sollte es wirklich erst zehn Jahre her sein, daß das neue Gebäude des Friedrichstadtpalastes in der Friedrichstraße 107 eröffnet wurde? Wären da nicht die alten Bilder, die Notizen von Gastspielen der großen Showstars dieser Welt wie Josephine Baker, Juliette Greco und Louis Armstrong, die noch im alten Revuepalast „Am Zirkus 1“ auftraten, könnte man meinen, der Friedrichstadtpalast hätte schon immer seinen Platz in der Friedrichstraße gehabt.

Die Nachricht, daß die den alten Palast seit über 100 Jahren tragenden Pfähle am Vermodern seien und das Gebäude deshalb abgerissen werden müsse, schlug Anfang der 80er Jahre wie ein Blitz ein. Die letzte Produktion im alten Haus hieß bezeichnenderweise „Seekiste“. Die Leute liebten ihren Friedrichstadtpalast, konnten sich nicht vorstellen, künftig darauf verzichten zu sollen. Große Erleichterung, als der Beschluß der DDR-Regierung bekannt wurde, un-

weit vom alten Standort ein neues Revuetheater wiederzuerrichten. Vorübergehend wurde das Ensemble jedoch „heimatlos“, vagabundierte auf verschiedenen Berliner Bühnen, absolvierte Gastspiele. Direkor Wolfgang E. Struck hielt die Truppe zusammen und prägte jenen Teamgeist, den das Ensemble dann Anfang der 90er Jahre ebenso nötig brauchte, um die künstlerische Einrichtung nicht in einen Amüsierschuppen verwandeln zu lassen.

Knapp vier Jahre nach Schließung des alten Hauses öffnete sich am 27. April 1984 zum ersten Mal der Vorhang in der Friedrichstraße 107. Eine Staatsaktion ersten Ranges mit den ersten Männern der DDR. Denn zum einen wurde Unterhaltung in. der DDR durchaus als ernstzunehmende Kunst behandelt, zum anderen war der neue Friedrichstadtpalast ein Renommierob-

jekt besonderer Güte. Doch gerade aus diesem Grunde trieb die Zensur Blüten.

Im Vorfeld der Eröffnung gab es Unruhe. Einige Tänzerinnen hatten einen Ausreiseantrag gestellt, denen wollte der Generalsekretär natürlich njcht applaudieren. So kurzfristig waren die aber nicht zu ersetzen. Natürlich applaudierte er dann doch, aui den Fotos aber durften die Tänzerinnen nicht zu sehen sein. Der damals sehr populäre Conferencier O. F. Weidling verärgerte mit witzigen politischen Frotzeleien die anwesende politsche Prominenz. Er jonglierte mit Bemerkungen über den alten Fritz, August dem Starken und Franz-Josef Strauß, der sich damals gerade für den Milliardenkredit an die DDR eingesetzt hatte. Machte sich über Rhythmusstörungen in der DDR-Wirtschaft lustig. Honecker, Mittag, Mielke und Genossen konnten darüber nicht

lachen. Ein Schmunzeln quälten sie sich ab. Am Bildschirm konnte man dies übrigens live verfolgen, in der Wiederholung waren die Passagen von 0. F. Weidling dann der Zensur zum Opfer gefallen. Auch die wohlwollende größere Passage im Manuskript des ND-Redakteurs über die Moderation des Abends schrumpfte nach ständigen Anrufen aus der Agitationabteilung und unter Schabowskis Rotstift zu der Bemerkung, daß 0. F. Weidling Moderator des Abends war. Ihren Ärger, daß ihnen das Eröffnungsfest durch Weidlings „Frechheiten“ vermiest wurde, ließen sie diesen danach, wo es nur ging, spüren.

Der neue Friedrichstadtpalast empfahl sich jedoch vom ersten Abend an dem Publikum. Man war stolz auf die phantastischen technischen Möglichkeiten des Hauses, die Klasse des Ensembles, die

kurzweiligen Programme. Kein Wunder, daß Karten begehrte Raritäten wurden.

Stichworte müssen genügen, um die großen Revuen Mitte und Ende der 80er Jahre ins Gedächtnis zu rufen. Da waren die Tanzrevue „Traumvisionen“, der in seiner Art weltweit einmalige Kinderrevuezyklus „Der Wasserkristall, „Der Regenbogen und die Sonne“ und die als bekannte Nachtrevue gestaltete Geschichte „La Belle et la Bete“. Anfang der 90er Jahre setzten dann „Dance, Dance, Dance“ in der Kleinen Revue und „City light“ im großen Haus Maßstäbe.

Nach der Wende paßte das dem neuen Eigentümer, die Stadt Berlin, allerdings nicht ins Konzept. So wurde das Ensemble hingehalten. Das Ballett streikte in spektakulären Aktionen für Arbeitsverträge. Der schließlich vom Senat bestallte Intendant setzte viele

Künstler vor die Tür, um mit Gästen aus Amerika nun endlich der Welt und Berlin zu zeigen, was eigentlich Revue ist. Er hatte seine Rechnung ohne das Publikum gemacht, das ging einfach nicht mehr hin. Der Ausgang dieser schulmeisterlichen Vorführung ist hinlänglich bekannt. Zum Glück sind Unterhaltungskünstler zäh, und einige, die hinten hinausgeworfen wurden, kamen vorn zur Tür wieder hinein. Mit der jüngsten Revue „Classics“ fand nun das Ensemble wieder zur gewohnten Klasse zurück.

Die Aufregungen um das Revuecomback des Hauses mögen zu groß gewesen sein, um obendrein noch für eine ordentliche Geburtstagsfeier zum 10. sorgen zu können. Dabei hätte ein zweiter Paukenschlag sicher geholfen, den in der Nachwendezeit durch zweifelhafte Personalentscheidungen des Senats mitverschuldeten schlechten Ruf des Palastes vergessen zu machen. Doch das als Geburtstagsgala orga-

nisierte Programm blieb weit unter den mit „Classics“ geweckten Erwartungen, obwohl man dort Anleihen nahm. Die Abfolge der einzelnen Nummern erinnerte fatal an Programme, die in den 60er Jahren unter dem Motto „Ein Blumenstrauß bunter Melodien“ veranstaltet wurden. Nichts gegen Frank Schöbel, Karat oder Caterina Valente, aber etwas mehr Überraschungen hätte diese Geburtstagsfeier schon bereithalten dürfen. Und sicher hätte der im Publikum sitzende Heinz Quermann das Ganze auch noch mit mehr Feuer und Sympathie über die Bühne gebracht als der müde moderierende Heinz Rennhack. Wenn man keine Lust oder keine Zeit hat, sollte man eben nicht feiern. Charivari (buntes Durcheinander) nannte der Friedrichstadtpalast seine Gala zum Jubiläum - Larifari wäre treffender gewesen. Pfingsmontag sendet der MDR und der SFB übrigens dieses dubiose Mischmasch.

CLAUDIA WINTER

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