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  • Kultur
  • Loriot und Walter Jens lasen aus dem Briefwechsel zwischen Friedrich dem Großen und Voltaire

Ohne Ihren Heroismus wären Sie liebenswert...

  • Lesedauer: 4 Min.

Die Veranstaltung vor der Veranstaltung, in der Walter Jens und Loriot am Sonntag in der Akademie der Künste am Berliner Hanseatenweg aus dem Briefwechsel Friedrich des Großen - auch er ein deutsches Umbenennungsschicksal - und Voltaires lasen, war nicht weniger amüsant als das Hauptprogramm. Dessen Beginn verzögerte sich erheblich, weil die Damen und Herren in den ersten drei Reihen des Akademiesaals irritiert sich einigen mußten, welche der beiden gleichzeitigen Maßgaben des Veranstalters denn nun gelte: auch hier die freie Platzwahl wie im ganzen Saal oder die reservierende Nummerierung der Billets.

Vicco von Bülow sah vom Lesestühlchen auf der Bühne schmunzelnd zu. Hausherr Jens mit leichtem Stirnrunzeln. Loriot hätte die Szene nicht schöner erfinden können.

Schwitzender Verteilungskampf vor erhebendem Kunstgenuß. Aber vielleicht war er auch ihr geheimer Regisseur Auf jeden Fall zeigten Loriots Fernsehspäße ihren Rang als nationales Bildungsfernsehen. Alles blieb zivil, weil die Leute das wahre Leben schon vom Bildschirm her kannten. Und auch das war wie von der Mattscheibe gegriffen, als es losgehen konnte, ging es noch immer nicht los. Die Dame, die den Einleitungstext „Zweiundvierzig Jahre waren Friedrich der Große und Voltaire befreundet...“ ins Mikrofon zu sprechen hatte, mußte erst einen längeren Kampf mit der Technik für ihren Part bestehen, bei dem das Wort „Zweiundvierzig Jahre...“ im Verlauf der Anläufe zu einem Reizwort für herzliches Gelächter wurde. Wäre der Akademieabend hier zu Ende gewesen, es wäre schon ein sehr fröhlicher

Abend gewesen, aber Vicco von Bülow und Walter Jens setzten als Friedrich der Große und Voltaire noch eins drauf.

Zweiundvierzig Jahre waren Friedrich der Große und Voltaire befreundet und wechselten zwischen 1734 und dem Tod des Franzosen 1778 mehr als 300 Briefe. Ironische, eitle, weise, verklatschte, böse, rührende, zornige Briefe. Einer sonnt sich im anderen, was gut geht, solange sie sich fern sind. Der König lädt den Dichter an seinen Hof und findet ihn, als er kommt, unerträglich.

Voltaire muß Berlin 1753 ziemlich überstürzt verlassen und auf der Rückreise sich in Frankfurt eine harsche Untersuchung seines Gepäcks gefallen lassen. Unbedingt muß der König ein Konvolut seiner Gedichte zurückerlangen, weil er fürchtet, Voltaire würde sie dem Spott der Öffentlichkeit ausliefern. Friedrich ist litera-

tursüchtig. „Wir Poeten“, schreibt er Voltaire, und: „Sie sind ein Philosoph und ich dergleichen.“ Sie tauschen Ansichten und Sottisen. Friedrich braucht den Kollegen auch zum „Studium des französischen Ausdrucks“, denn die Sprache seiner Literatur ist die französische. Die schreibt er wenigstens orthographisch beinahe so schlecht wie die deutsche. Voltaire verbessert vorsichtig und schreibt Briefe von der Art, würden Sie auch noch das Wort soundso am Ende mit „g“ schreiben, wäre Ihre Dichtung reif für die Akademie. Der Dramatiker Voltaire treibt herrliche Spiele mit dem Lyriker Frederic. Eine ihm übersandte Büste eines griechischen Philosophen hält er für ein Abbild des Königs und schreibt ihm dazu. Auf seine Dichtungen erlaubt Frederic Voltaire einen gewissen Einfluß, als Friedrich der Große

ist der Franzose ihm kein Kollege. „Mögen Sie aufhören die Erde zu verwüsten, die Sie doch glücklich machen wollten“, schreibt ihm Voltaire zu einem seiner Kriege so vergeblich, wie er.ihn mahnt, zu praktizieren, was er so oft geschrieben hat. „Ohne Ihren Heroismus wären Sie zum liebenswertesten Menschen geworden.“ Der französische Dichter sucht so vergeblich einen Reim auf diesen Menschen zu finden, wie der literarische König ihn selbst nicht abgibt.

Vicco von Bülow und Walter Jens zauberten wunderbare Facetten dieser Situation. Ironie und Komik durchmusterte ihre Briefauswahl, wie sie ihren Ton bestimmten. Das war glänzend, aber nicht gemacht. Es war der aus Anschauung gewonnene Ton der Nachsicht mit dem Leben und dem Menschen.

FRANCISKA WALCZYK

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