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OV „Vollstrecker“ zu SS-Mann Bärwald

  • Lesedauer: 3 Min.

In den Diensträumen der Abteilung Extremismus des ZKA/ GLKA habe ich in mühevoller, wochenlanger Kleinarbeit große Teile des Aktenbestandes der Kategorie „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und „Kriegsverbrechen“ durchgearbeitet. Darunter befanden sich auch Bestände „DDR-Bürger mit NS-Vergangenheit“ Außer mir hat sich bis 31.12. 1991 niemand für diese Akten interessiert. Unter den mehr als 130 Positionen fiel mir auch der OV „Vollstrecker“ in die Hände, die Untersuchungsakte zum ehemaligen SS-Unterscharführer Helmut Bärwald.

Der Beschluß zur Eröffnung des operativen Vorganges erging am 31. 10.1988 unter der Registrier-Nr XVI/6668/88. Es heißt im Eröffnungsbericht vom 3.11. 1988 eindeutig: „Die bisher erarbeiteten Hinweise reichen für die Einleitung strafrechtlicher Maßnahmen nicht aus.“ Trotzdem wurde der OV eröffnet wegen des Verdachtes von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Bärwald war nämlich Blockführer im KZ Sachsenhausen und laut Anfangsverdacht - beteiligt an der Erschießung der 18 000 sowjetischen Kriegsgefangenen im Zeitraum September bis Oktober 1941.

Der „Spiegel greift diesen Verdacht auf und bezeichnet Bärwald als „mutmaßlichen Täter“ Dabei bezieht er sich auf eine Zeugenbefragung des früheren KZ-Häftlings Kurt Kunad aus Neustrelitz am 22.11. 1968, der Bärwald stark belastet und ihn zu den „gefährlichsten und gefürchtetsten SS-Leuten“ zählt. Ich habe diese Aussage mit Sachsenhausenern besprochen und es zeigte sich, daß Kunad einem Irrtum erlegen ist und einen völlig anderen SS-Mann meinte. Bärwald war außerdem zur Zeit der Erschießungen gar nicht

im Lager. Kunad hat auch in dem Katalog des westdeutschen Sachsenhausenkomitees, der in den 60er Jahren mit Hilfe der Staatsanwaltschaft an die DDR ging, Bärwald nicht identifiziert und dafür andere SS-Leute benannt. Bei dem Katalog handelte es sich, und hier irrte auch das MfS, nicht um ein Fahndungsbuch, sondern um eine Aufstellung von SS-Leuten, für ehemalige Häftlinge zusammengestellt mit der Bitte um eventuelle Informationen über deren Verbleib nach 1945 und zur Dokumentation eigener Erlebnisse im Lager.

Keiner der zahlreichen 1989 befragten Häftlingen hat Bärwald mit irgendeiner Straftat in Verbindung gebracht, nur ein mir bekannter Häftling kannte ihn überhaupt. In den Erinnerungen des Lagerältesten Harry Naujoks spielt Bärwald ebensowenig eine Rolle wie in dem Bericht von Rudi Wunderlich über das KZ und seine spektakuläre Flucht. Im Archiv des Lagers finden sich auch keine Belege für Verbrechen Rärwalris

Wichtig für die Bearbeitung der Sache Bärwald ist die Tatsache, daß die HA XX/2 des MfS (u. a. tätig auf dem Sektor Nazi- und Kriegsverbrechen) am 6. 6. 1968, ohne die nötigen Ermittlungen zur Sache und vor den Zeugenaussagen der Häftlinge Jordan, Kunad, Bock und Scharf im September/November lapidar in einem Aktenvermerk feststellte: „Außer der Aufenthaltsermittlung sind keine weiteren Maßnahmen eingeleitet.“ 20 Jahre später werden Bärwald und andere wieder relevant, nachdem die UNO-Vollversammlung im Dezember 1986 eine Entschließung gegen Rassismus und Nazismus verabschiedet hatte und die DDR im Mai 1988 auch um eine Stellungnahme gebeten wurde.

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