Nun auch „Volksfront“ in Sachsens Hauptstadt?
Anti-CDU-Bündnis von DSU, FDP, GRÜNE, PDS und SPD sorgt für Diskussionen und heftigen Ärger
Von MARCEL BRAUMANN, Dresden
Sachsen-Anhalt macht's ,mpg 7 . lieh: Nachdem sich Sachsens SPD-Spitzenkandidat Karl-Heinz Kunckel plötzlich gestattet, daß „über landespolitische Konstellationen in den neuen Ländern grundsätzlich neu nachgedacht“ wird, hat der Freistaat prompt eine bündnispolitische Neuheit am Hals. Der Präsident von Dynamo Dresden, Rolf-Jürgen Otto, sieht seine Partei angesichts ihrer mutmaßlichen Kungeleien „mit ehemaligen SED-Mitgliedern“ bereits in „Schutt und Asche enden“ Das Pikante: Der zumindest körperlich schwergewichtige, allerdings wirtschaftlich ins Zwielicht geratene Unternehmer aus dem Westen sitzt für die FDP im Stadtrat, die gerade aus parlamentstechnischen Gründen eine Fraktion mit den Überbleibseln der DSU einging.
Und für diese FDP/DSU-Fraktion saß der noch amtierende Stadtentwicklungsdezernent Ingolf Roßberg im China-Restaurant „Mandarin“ nahe des Dresdner Rathauses mit dem wiedergewählten PDS-Fraktionsvorsitzenden Ronald Weckesser an einem Tisch. Allerdings nicht, um dem Genossen zuzugucken, wie dieser Hühnerwürfel in süß-saurer Soße verspeiste, sondern zwecks handfester personalpolitischer Absprachen. Mit am Tisch Albrecht Leonhardt, bisher Chef der Sozialdemokraten im Rathaus und mit zweimal nur 14 Prozent unsanft gescheiterter OB-Kandidat, die designierte Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen, Eva Jähnigen, und Steffen Müller, Präsidiumsmitglied der Freien Wähler
Nicht zu vergessen Michael Merkel, Noch-Stadtkämmerer von Leipzig, einst ABM-Kraft in Unna und nun nach peinli-
chen drei Prozent bei der OB-Wahl, ungewöhnlich selbstbewußter Anwärter auf eines der acht Dezernate, am liebsten das wichtige Finanzressort. Merkel, der sich nicht nur mit politischen Gewichtsproblemen herumschlägt, hatte zu dieser Zusammenkunft geladen. Damit sah sich die „Anti-Wagner-Koalition“ wieder, die zwar nicht verhindern konnte, daß das blasse CDU-Stadtoberhaupt Herbert Wagner für weitere sieben Jahre die Bevölkerung langweilt, aber im Stadtrat über die Mehrheit verfügt. Eigentlich hatte es sich die CDU (25 Mandate) ganz einfach gedacht, erzählte Leonhardt: Gemeinsam mit der SPD (11 Sitze) hätte man in der 70köpfigen Stadtverordnetenversammlung die Mehrheit und könnte die Beigeordneten des OB unter sich ausmachen - fünf für die CDU, drei für die SPD. Ganz demokratisch nach d'Hondt-Wahlverfahren unter
Berücksichtigung der Biedenkopf-Maßgabe: Der „undemokratisch“ bewertete Teil des Wahlergebnisses, in Dresden 16 PDS-Stadtverordnete, wird einfach abgezogen.
Noch ist offen, ob die Anti-CDU-Verbindung bis zum Herbst hält. Denn die aufgebrochenen Verstimmungen rühren daher, daß Ronald Weckesser ursprünglich nur hinzugezogen wurde, um einen Blankoscheck über die PDS-Zustimmung für zwei SPD-Leute, einen Grünen, einen FDPler (Roßberg) und einen Parteilosen auszustellen. Dazu hatte der PDS-Mann aber keine Lust, da seiner Partei schließlich zwei Beigeordnete zustünden und man auf mindestens einem ausgesprochenen PDS-Kandidaten bestehe.
Da das einleuchtet, erwärmte sich die Runde an der Überlegung, die CDU auf zwei Beigeordnete zurechtzustutzen.
Das gefällt wiederum Weckesser nicht, weil man als guter Demokrat den Unionschristen angesichts ihrer Stärke drei Posten zubilligen müsse. Der große Unbekannte heißt zudem Herbert Wagner. Zwar wird Wagner dem Vernehmen nach zu Beginn der neuen Wahlperiode mit allen Fraktionen, also auch mit den demokratischen Sozialisten, sprechen. Aber er besitzt kraft Amtes das Vorschlagsrecht für Beigeordnete, könnte also wie der SPD-Kollege Grämlich von Potsdam durch nicht mehrheitsfähige Vorschläge während der Zeit von Landtagsund Bundestagswahlen für eine ziemlich kopflose Landeshauptstadt sorgen.
Gestern berieten die Anti-CDUler erneut. Doch wer auch immer sich bis zum Herbst noch in Dresden mit wem überwirft: Die kommunalpolitische Vorherrschaft der CDU steht offenkundig vorm Ende.
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