Nun könnte auch Roman Herzog wissen, wer Generaloberst Dietl war
Bundespräsident erhielt Klageschrift gegen die Ehrung eines Mannes, der für Hitler den „Typ des nationalsozialistischen Offiziers“ schuf
Als Bundespräsident Roman Herzog am Rande der Gedenkfeiern zum 20. Juli 1944 gefragt wurde, warum in der Bundesrepublik noch immer ein Kriegsverbrecher wie Generaloberst Eduard Dietl geehrt wird, wich er einer Antwort aus. Er wisse über Dietl nicht Bescheid. Freilich könnte er informiert sein. Denn Günter Ettling aus Obergünzburg im Allgäu hat Herzog deswegen schon zweimal geschrieben, wie auch an dessen Amtsvorgänger v. Weizsäcker.
Der heute 78jährige Industriekaufmann überlebte als einziger der 192 Mann seiner Einheit die Hölle von Stalingrad. Sein Bruder wurde von einem Militärgericht zum Tode verurteilt, Tante und Onkel kamen im KZ ums Leben. Inzwischen wurde dem Bundespräsidenten auch die Klageschrift zugesandt, mit der Günter Ettling beim Verwaltungsgericht Augsburg die Feststellung beantragt, daß Dietls Name für zwei Straßen in den Städten Bad Aibling und Füssen/Allgäu „eine Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener, eine Verletzung des moralischen Grundkonsenses der Gesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland und eine Verletzung des Grundsatzes einheit-
licher Rechtshandhabung darstellt, und unvereinbar ist mit Sinn und Anspruch des Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“ In der Klageschrift Günter Ettlings heißt es u. a:
Das Bestreiten der Eignung öffentlicher Ehrung in der BRD gründet sich auf die geschichtsdokumentarisch bekannten Daten des Namenspatrons Dietl beim Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Freiburg, beim Bayerischen Staatsarchiv in Nürnberg, beim Archiv des Reichskriegsgerichts in Prag und im Buch „Das Torgau Tabu“ (Forum Verlag Leipzig 1993) von Dr. Norbert Haase und Brigitte Oleschinski,. eine aus Mitteln des Bundesinnenministeriums
geförderte Publikation). Die Dokumentationen weisen ihn als „Hauptschuldigen“ im Sinne besagten Gesetzes aus.
Der 1890 in Bad Aibling geborene Dietl trat 1919 der DAP bei, die im Februar 1920 in NSDAP umbenannt worden ist. Aufgrund eines Reichswehrdekrets mußte der damalige Hauptmann Dietl dann zwar aus der Partei austreten, blieb ihr aber bis zu seinem Tod am 23. 6. 1944 treu ergeben.
In Anerkennung seiner Verdienste als „Geburtshelfer des 3. Reiches“ verlieh ihm Hitler zum 10. Jahrestag seiner „Machtergreifung“ das Goldene Ehrenzeichen der NSDAP Beim Staatsakt zu Ehren des verunglückten Dietl am 1.7 1944 im Schloß Kiessheim sagte Hitler, Dietl habe erst den Typ des nationalsozialistischen Offiziers geschaffen, er habe einen seiner treuesten Kampfgefährten verloren.
Erwiesen ist seine aktive Unterstützung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft
(vgl. Art. 1/1 des Ges. z. Befr v N. u. M.) durch den kriegsverbrecherischen Überfall Norwegens und seinen Befehl, den „Feind mit äußerster, Härte niederzuringen“
Im Feldurteil des Reichskriegsgerichts/4. Senat StPl (HLS) IV.61/42, bestätigt von Admiral Bastian am 7 8.1942, wird Dietl menschenschinderisches Verhalten nachgesagt.
Dr. Haase verweist auf Ermittlungen des Bayerischen Landeskriminalamtes von 1955, denen zufolge es zu Mißhandlungen und Greueltaten bis hin zur massenweisen Morden im Feldstraflager I-III gekommen ist, die Dietl truppendienstlich zugeteilt und unterstellt worden waren. Bevor sie auf einen 531 km langen Gepäckmarsch entlang der Eismeerstraße nach Petsamo befohlen wurden, drohte Dietl ihnen an: „Wer nicht mitkommt, der fällt!“ Dieses „Fallen“ umschrieb den Genickschuß für die infolge Entkräftung Zusammenbrechenden durch die Begleitmannschaften.
Der ehemalige Strafgefangene Walter Kramer berichtete, seine Marschkolonne sei mit 340 Mann in Rovaniemi abmarschiert, in Petsamo seien 28 lebend angekommen.
Dietl untersagte den „arischen“ Wehrmachtsangehörigen die Heirat mit Norwegerinnen, was selbst die berüchtigten Nazis Bormann und Himmler als überzogen ansahen. Er sprach von „jüdischbolschewistischen Haßgesängen gegen Deutschland“ und am 20. Jahrestag des „Marsches auf die Feldherrnhalle“ 1943 sagte er auf Marktplätzen Bayerns: „Der Frontsoldat weiß, daß es sich um den Schicksalskampf des deutschen Volkes handelt, daß sich die Juden in der ganzen Welt zusammengeschlossen haben zur Vernichtung Deutschlands und Europas!“
Zu berücksichtigen ist die Tatsache, daß der Uraltnazi Dietl von gewissen Militärkreisen in der BRD schlechthin als Idol der Gebirgsjägertruppe
propagiert wird, um Traditionswürdigkeit dieser Truppengattung zu symbolisieren. Hierin dürfte maßgeblich die Motivation in Füssen als Gebirgsjäger-Garnision für die Benennung einer städtischen Straße nach Hitlers „Helden von Narvik“ zu finden sein. Da bei dem Massaker an 5 200 bis 6 300 bereits entwaffneten italienischen Soldaten auf der Insel Kephalonia deutsche Gebirgsjäger beteiligt waren, handelt es sich um eine mit historischer Schuld belastete Truppengattung.
Nach dem Ende der DDR erfolgte in den neuen Bundesländern eine Umbenennung aller öffentlichen Einrichtungen, Gebäude und Verkehrswege, wenn es um die Tilgung historisch begründeter Schuldvorwürfe ging. Es widerspräche der in der BRD gepflogenen Gleichbehandlung, wenn weiterhin in Bad Aibling und in Füssen Straßen nach dem überdurchschnittlich schuldbelasteten Generaloberst Eduard Dietl benannt blieben.
Die von mir angerufene Rechtsaufsichtsbehörde verweigert sich mit der Behauptung, es bedürfe erst noch.einer weiteren Studie des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, um meiner Beschwerde stattgeben zu können. Diese Behauptung ist abwegig. Es bedarf in Anbetracht der bekannten geschichtsträchtigen und -dokumentarischen Daten über Eduard Dietl keiner weiteren Feststellungen über die Tatsache, daß es sich um den nicht ehrbaren Namen einer Unperson handelt. Zudem können angebliche Studien des Bundesministeriums der Verteidigung keine Richtlinie sein für die Entscheidung einer Rechtsaufsichtsbehörde, nachdem das Ministerium zu diesem Themenbereich absurde Handlungsweisen praktiziert. So sind z. B. dreißig Bundeswehreinrichtungen trotz jahrelanger Einsprüche nach weiteren Kriegsverbrechern und Galionsfiguren aus der Hitlerschen Ära benannt.
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