Klassenfahrten in KZ-Gedenkstätten, Begegnungen mit Holocaustüberlebenden oder Hinweise auf die moralischen Werte der Gesellschaft - nicht selten ziehen Lehrer und Sozialarbeiter bei rechtsextrem orientierten Jugendlichen mit diesen Unterrichtselementen den Kürzeren. »Subversive Verunsicherungspädagogik« soll das ändern.
Was sollen Lehrer tun, wenn rechtsextrem orientierte Jugendliche einen KZ-Überlebenden beim Gedenkstättenbesuch mit Fragen provozieren - etwa, ob die Türen der Gaskammern nach innen oder nach außen aufgingen oder mit welchem Material Juden verbrannt worden seien? Oder wenn sie gar direkter pöbeln? Wie können sich die Lehrer aus der argumentativen Ohnmacht befreien? »Ernstnehmen, Gegenfragen stellen und die Schüler selber in Erklärungsnot bringen«, auf diese drei Elemente baut Eckart Osborg, Professor für Sozialpädagogik der Hamburger Hochschule für angewandte Wissenschaften, der dieses Handlungskonzept für die Präventionsarbeit mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen dieser Tage im Köpenicker Rathaus in Berlin vorstellte.
Seine »subversive Verunsicherungspädagogik« fordere vor allem schlagfertige Sozialarbeiter und Pädagogen. Solche, die sich gründlich mit der Ideologie der Rechten auseinander setzen um diese dann mit Widersprüchen in ihrem Denken und Handeln zu konfrontieren. Und somit zum Nachdenken anzuregen. Ingo Hasselmann sei ein prominenter Beleg dafür, dass sein Ansatz tatsächlich etwas bewirken kann, so Osborg. Denn für den Aussteiger aus der rechten Szene seien die Dreharbeiten zu dem Dokumentarfilm »Von Beruf Neonazi« ein wichtiger Anstoß für seine Entschluss gewesen, die Szene zu verlassen. In dem Film wird Hasselmann mit Widersprüchen in der rechtsradikalen Ideologie konfrontiert, ohne dass seine Aussagen vordergründig bewerten werden.
Osborgs sieht seine Methode als Ergänzung für bereits bestehende Präventivmaßnahmen und hat primär Jugendliche im Blick, die zur Hasskultur neigen, starke Vorurteile pflegen sowie aggressives Verhalten an den Tag legen. Diese »Gefährdeten« verfügten nämlich meist über lose Kontakte zur rechten Szene. Teils hätten sie durch Schulungen in rechten Kameradschaften Bruchstücke der Nazi-Ideologie bereits verinnerlicht und seien »auf die argumentative Überlegenheit über Diskussionspartner« gedrillt, so Osborg. Hier wiege es besonders schwer, wenn Sozialpädagogen mit ihren leider oft nur mangelnden, eher allgemeinen historischen Kenntnissen den von Details gespickten Phrasen der Gegenseite kaum etwas entgegensetzen können.
An dieser Stelle helfe nur, sich weiterzubilden und mit einer neugierig-neutralen Haltung den Jugendlichen Löcher in den Bauch fragen, empfiehlt der Professor für Sozialpädagogik. Beispielsweise der dumpfen Vorstellung vom »sauberen und anständigen Deutschen« deren eigenen Alkoholkonsum oder - noch besser - Hitlers und Görings Kokainabhängigkeit entgegensetzen. Dem Hass auf vermeintlich Asoziale und Kriminelle solle man - so belegt - Vergehen rechter Jugendlicher gegenüberstellen, bei denen es sich oft um Körperverletzung handelt. Am geeignetsten für solche Debatten hält Osborg Lagerfeuerromantik, um dann im übertragenen Sinn »wie ein Partisan in die feindliche Linie reingehen und ein paar Minen legen« - freilich auf geistiger Ebene.
Manch erfahrener Sozialpädagoge bemängelte bei dem von der Friedrich-Ebert-Stiftung veranstalteten Workshop allerdings, dass Osborgs Ideen im Grunde nicht neu seien, sondern Ansätzen bereits angewendet würden. Das wirkliche Problem liege in der Gesellschaft, die »keine guten Werte« vermittle, wenn etwa Asylbewerber abgeschoben werden oder Zuwanderung abgelehnt wird. In einem Punkt immerhin waren sich alle einig: Da im Bezirk Treptow-Köpenick - neben Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Pankow führend, was Probleme mit Rechtsextremisten in Berlin angeht - in einem Monat die dort ansässige Bundeszentrale der NPD ein so genanntes »Nationales Bildungszentrum« eröffnen will, müsse es viel mehr Gegenveranstaltungen geben, die Zeichen gegen Rechts setzen.
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