Im Kino ist es ganz einfach. Der Helfershelfer war ungeschickt. Er hat den Gangsterboss einmal zuviel enttäuscht. Dieser zieht die Pistole, erschießt ihn und sagt: »Du bist gefeuert!« In der betrieblichen Realität geht es nicht so brutal zu, obwohl der Berater von Führungskräften den Eindruck gewinnt, dass gar nicht wenige von ihnen das hemdsärmelige Modell jedem anderen vorziehen würden - nicht in seiner mörderischen Variante, aber doch nach dem Klischee »hire and fire«, das den amerikanischen Arbeitsmarkt »belebt«.
Jeder Chef wird lieber Personal einstellen, als einem Mitarbeiter kündigen. Aber in Zeiten der Sparzwänge ist es oft unvermeidbar, sich von Menschen zu trennen, die einen großen Teil ihrer Identität in dem Betrieb lassen, der sie jetzt auf die Straße schickt. Wer die Szene betrachtet, ist oft schockiert, wie wenig einfühlend Führungskräfte mit den Betroffenen umgehen, wie den unvermeidlichen Kränkungen noch gänzlich überflüssige Demütigungen hinzugefügt werden. Da liegt die Kündigung ohne jedes vorbereitende Gespräch in der Woche vor Weihnachten im Briefkasten. Da wird das Schreiben dem Mitarbeiter im Großraumbüro von der Sekretärin zur Unterschrift ausgehändigt, während der Chef einige Türen weiter mit Wichtigerem beschäftigt ist, als einem hochverdienten Mitarbeiter über seinen Schock hinwegzuhelfen.
Betrachter von Unternehmenskulturen haben bemerkt, dass sich erst im Misserfolg die Qualität eines Managers zeigt. Wer ein expandierendes Unternehmen leitet, schreibt bereitwillig seinen fähigen Mitarbeitern einen Teil der Erfolge zu. Umgekehrt rühmen die Mitarbeiter den Chef. Dessen wahres Format zeigt sich jedoch erst in der Niederlage.
Jetzt gilt es nicht mehr, Anerkennung zu verteilen, sondern Angst gemeinsam zu verarbeiten und die Ursache der Rückschläge schonungslos zu untersuchen. In der Krise unterscheiden sich die wahren Seeleute von Schönwetterkapitänen. Bei Sonne und Rückenwind haben sich eben noch alle prächtig verstanden; im Sturm nach einem Mastbruch verfluchen sie die Mannschaft und riskieren lieber das Schiff als die Einsicht in ihre mangelnden Fähigkeiten.
In ihrem nachdenklichen Buch über »Rituale im Management« hat die Soziologin Dorothee Echter - selbst lange Zeit Managerin und heute vor allem als Coach von Topmanagern tätig - auch der Trennung von Mitarbeitenden einen Abschnitt gewidmet. Ihre Kernaussage: »Wenn Angehörige eines Unternehmens gekündigt werden, müssen sie angemessen verabschiedet werden, mit Ritualen.«
Der Verlust des Arbeitsplatzes ist nach dem psychologischen Wissen über Stress gegenwärtig eines der am meisten belastenden Ereignisse im Leben eines Menschen. Er wird nur vom Tod naher Angehöriger, lebensbedrohlichen Erkrankungen (etwa Krebs) oder schweren Unfällen übertroffen. Daher fürchten die Menschen, welche eine Kündigung aussprechen, den Schmerz des Betroffenen und wollen sich diesem nicht aussetzen.
Sie folgen im Grunde einer Primitivreaktion. Sie gleicht jener, die Hühner dazu führt, ein behindertes Huhn wegzuhacken, oder Kollegen blockiert, eine krebskranke Mitarbeiterin in der Klinik zu besuchen. Es geht um magisches Denken, um die Angst, sich anzustecken, wenn man etwas Bedrohlichem zu nahe kommt. Durch solche Reaktionen wird menschliches Leid potenziert. Die Krebskranke bemerkt die Vorbehalte ihrer Freundinnen und zieht sich in eine Depression zurück, welche ihr den Kampf gegen ihre Krankheit erschwert.
Ein beliebtes Argument, um die taktlose, abrupte Kündigung zu rechtfertigen, lautet etwa so: Da dem Betroffenen die schmerzliche Wahrheit nun einmal nicht erspart werden könne, sei es doch human, ihn möglichst lange in Unwissenheit zu halten und dann einen schnellen Schnitt zu machen. Aber so funktioniert Kränkungsverarbeitung nicht. Die Betroffenen fühlen sich entwürdigt und nicht ernst genommen. Der Vorgesetzte lügt sich in die Tasche, wenn er behauptet, den Mitarbeiter zu schonen. Er macht es in Wahrheit nur sich selbst bequem.
Menschen können Kränkungen besser verarbeiten, wenn sie den Eindruck gewinnen, dass sie geschätzt und respektiert werden, auch wenn es nicht möglich ist, ihnen eine Verletzung zu ersparen. Wer einfach vor die Tür gesetzt wird, muss denken, dass er dem Unternehmen, dem er lange gedient hat, gar nichts bedeutet. Der von einer Kündigung Bedrohte sollte möglichst früh einbezogen werden, schließlich handelt es sich um ein Problem in dem Betrieb, an dessen Wohlergehen er interessiert ist. Jedes Quäntchen an Gestaltungsmöglichkeit kann in einer belastenden Situation den Einbruch an Selbstvertrauen und Zuversicht vermindern.
Echter betont, dass die von ihr vorgeschlagene würdigende Trennung mit einer Feier, einer Dankesrede, einem gemeinsamen Essen nicht nur den Gekündigten, sondern auch dem Unternehmen nützt. »Menschen, die ihren langjährigen Arbeitsplatz, ihre berufliche Heimat, verlassen müssen, bietet ein ritueller Abschied die wichtige Einladung zum Verstehen und zur Versöhnung. Sie werden sich wertvoll fühlen, mit mehr Optimismus an die Zukunft denken und positiv über das Unternehmen sprechen. Die Zurückgebliebenen fühlen sich besser aufgehoben in einem Unternehmen mit Stil und Menschlichkeit.« Echter weiß natürlich, dass nicht alle gekündigten Mitarbeiter mit einem Festakt verabschiedet werden können. Mit leiser Ironie bemerkt sie: »Vielleicht wird eines Tages sogar eine Entschuldigung des Managements möglich und von Betroffenen und Öffentlichkeit als Zeichen der Verantwortlichkeit und Stärke angenommen?«
Wo gemeinsame Rituale nicht möglich sind, schlägt Echter vor, dass die einzelnen Teams, Projektgruppen oder Abteilungen Abschiedsrituale entwickeln. Niemand sollte ohne ein gemeinsames Abendessen, einen ausdrücklichen Dank beim Aushändigen der Papiere gehen.
Oscar Wilde hat in einem seiner Bonmots, welche die Dynamik des menschlichen Narzissmus beleuchten, von Menschen gesprochen, »welche andere auf die Zehen treten, wenn sie die eigenen Hühneraugen schmerzen!« Das ist anschaulich und im Alltag immer wieder nachweisbar. Wer menschliches Kränkungsverhalten studiert, bemerkt verblüfft, wie ein Mensch den anderen gerade dort verletzt, wo er auf gar keinen Fall selbst gekränkt werden möchte.
Im Rothschild-Phänomen geht es um eine verwandte Reaktion: Die Verwandlung von Mitleid in Aggression. Diese Dynamik illustriert ein jüdischer Witz. Zu dem reichen Baron Rothschild kommt ein Bettler und erzählt eine lange Geschichte von vielfältigstem Leid, so anschaulich und überzeugend, dass dem Baron die Tränen in die Augen treten. Er läutet nach dem Diener. Der Schnorrer hofft auf eine gespickte Börse. Der Baron aber sagt: »Schmeißt ihn hinaus, er bricht mir das Herz!«
Solche Geschichten sind hilfreich, um zu verstehen, weshalb so viele Führungskräfte den Kontakt mit Menschen meiden, denen sie ein Stück ihrer Lebensqualität wegnehmen. Wenn Manager einem Mitarbeiter kündigen, meinen sie in der Regel, es tun zu müssen, um einen noch größeren Schaden zu verhindern. Betriebsbedingte Kündigungen heißen: Entweder gehen einige langjährige, verdiente, teure Mitarbeiter von Bord, oder das Schiff geht unter.
Wenn es gelingt, das transparent zu machen, ist der Kränkung viel von ihrem Stachel genommen. Die Gekündigten können sich überzeugen, dass es Sinn macht, was mit ihnen geschieht, auch wenn es nicht gerecht ist, sondern nur ein Notbehelf. Um solche Prozesse zu vermitteln, muss der zuständige Manager bereit sein, auch über Führungsfehler zu sprechen. Er muss sich einer emotionalen Belastung aussetzen, die immer dann entsteht, wenn wir einem Ereignis begegnen, das uns selbst treffen könnte. Er muss Mut haben und Flagge zeigen; er darf sich nicht hinter dem Unternehmensberater verstecken, dessen Rat ihn zu Maßnahmen zwingt, die ihm selber ganz fremd wären.
Man kann vermuten, dass ein Chef, der besonders rücksichtslos mit Kündigungen umgeht, selbst fürchtet, seinen Arbeitsplatz zu verlieren. Er hängt in extremer Weise von der narzisstischen Bestätigung durch berufliche Erfolge ab. Er kann sich gar nicht vorstellen, wie es wäre, selbst arbeitslos zu sein, so wenig, wie sich Rothschild vorstellen mag, wie es sich anfühlt zu betteln.
Dann kann der Manager kein Gespräch mehr führen, kein Ritual inszenieren, welches dem Mitarbeiter ermöglicht, das Geschehene zu verstehen und sich mit ihm zu versöhnen. Er kann dann die eigenen Ängste nicht mehr abwehren, dass auch er - wie wir alle - irgendwann einmal von diesem Verlust betroffen sein wird.
Die Frage nach der Kränkung durch eine Kündigung lässt sich erweitern: Ist das traditionelle (männliche) Selbstgefühl, das auf der bezahlten produktiven Berufsarbeit beruht, noch zeitgemäß? Wir bräuchten dringend mehr und bessere Dienstleistungen in der Altenpflege, in der Arbeit mit Behinderten, mit Kindern, an den Schulen. Wir haben viel zu viele deprimierte Arbeitslose, die von ihrer sozialen Umwelt auf eben den anspruchsvollen produktiven Beruf fixiert wurden, den ihnen die Wirtschaft nicht mehr bieten kann.
Wer arbeitslos ist, wird sich nach diesen veralteten sozialen Prägungen schämen. Wenn er nicht schnell aus diesem Zustand herauskommt, wird er sich als Sozialhilfeempfänger noch mehr schämen. Die Politik verspricht jedem Willigen und Fleißigen einen sinnstiftenden Arbeitsplatz - und lügt schon lange schamlos in diesem Punkt. Sollte sie nicht umdenken, jedem Bürger ein Grundgehalt zahlen und ihn dafür verpflichten, an einem der zahlreichen sozialen Brennpunkte zu arbeiten?
Vielleicht sollten wir von einer Zukunft träumen, in der Arbeitslosigkeit nicht mehr existiert, weil jede Bürgerin, jeder Bürger finanziell gesichert ist und es selbstverständlich wurde, sich irgendwo in der Nachbarschaft, wo Hilfe Not tut, zu engagieren? Wo es keine entwürdigenden Formulare und Kontrollen gibt, damit nur der öffentliche Gelder erhält, der nichts mehr hat? Es wäre eine Welt, in der Kündigungen ihren Schrecken verlieren.
Wolfgang Schmidbauer arbeitet als Psychoanalytiker und Autor in München.
Sein letztes Buch »Persönlichkeit und Menschenführung. Vom Umgang mit sich und anderen« erschien soeben bei dtv (220S., brosch., 14 EUR).
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