Kündigung im Urlaub - Klagefrist versäumt?

  • GERD SIEBERT
  • Lesedauer: 3 Min.
Um die Wirksamkeit einer fristauslösenden Zustellung bei Abwesenheit des Adressaten (Kündigung, Zahlungsbefehl usw.) wird vor den Arbeitsgerichten, auch Bundesarbeitsgericht (BAG) und sogar Bundesverfassungsgericht (BVG), schon seit Jahrzehnten gestritten. Im Ergebnis gibt es einigermaßen verlässliche Kriterien und somit die Möglichkeit, sich trotz Fristablaufs noch wehren zu können. So manchem ist es schon passiert: Man kommt aus einer verlängerten Kur oder einem vierwöchigen Urlaub zurück und findet im Briefkasten oder der gelagerten Post ein Kündigungsschreiben des Arbeitgebers vor. Ein Blick auf das Datum verrät, dass die dreiwöchige Frist zur Einreichung der Kündigungsschutzklage bereits abgelaufen ist. Man braucht ja auch noch ein paar Tage, um sich mit der Gewerkschaft, einem Anwalt oder sonst wie klar zu werden, wie man reagiert, und so vergeht noch mehr Zeit. Besonders deutlich wird die Rechtslage, die auch Betriebsräten zuverlässige Beratung ermöglicht, am Beispiel des türkischen Arbeitnehmers, der nach sechswöchigem Urlaub aus der Türkei zurückkehrte und seine Kündigung vorfand. Die war schon vor mehr als fünf Wochen erfolgt, so dass die Frist zur Einreichung der Kündigungsschutzklage abgelaufen war. Nach vier Tagen, also insgesamt sechs Wochen nach Zugang der Kündigung, erhob er beim Arbeitsgericht Klage und beantragte zugleich, die Klage nachträglich zuzulassen. Das Arbeitsgericht lehnte dies ab. Das Landesarbeitsgericht hielt die Klage unter Berufung auf die ständige Rechtsprechung des BAG und des BVG für zulässig und begründet. Dem entsprechend gilt Folgendes: Gemäß § 5 Abs.1 Kündigungsschutzgesetz ist eine Kündigungsschutzklage nachträglich zuzulassen, wenn ein Arbeitnehmer trotz Anwendung aller ihm zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, diese innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung zu erheben. Mit dem Antrag auf nachträgliche Zulassung ist zugleich die Klage zu erheben. Der Antrag muss die Gründe für die Fristversäumnis und »die Mittel für deren Glaubhaftmachung« (z. B. eidesstattliche Erklärung) enthalten (Abs.2). Der Antrag kann nur innerhalb zwei Wochen nach Kenntnis der Kündigung gestellt werden. Sind nach Ablauf der versäumten Drei-Wochen-Frist sechs Monate vergangen, ist die Antragstellung nicht mehr möglich (Abs.3). Nach dem BAG-Urteil vom 16. März 1988 (Az. 7 AZR 587/87) »ist der Arbeitnehmer nicht verpflichtet, dem Arbeitgeber mitzuteilen, ob und wohin er während des Urlaubs verreist«. Und weiter: »Eine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage wegen urlaubsbedingter Abwesenheit ist schon im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in aller Regel geboten.« (Das BAG führt dann acht BVG-Entscheide zu dieser Frage an. Mit »Wiedereinsetzung in den vorigen Stand« ist die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage gemeint.) Die Gerichte machen jedoch eine Einschränkung: Ein gekündigter Arbeitnehmer, der die Frist zur Klageerhebung wegen Abwesenheit versäumt hat, darf diese Situation nicht absichtlich herbeigeführt haben, weil er bereits mit einer Kündigung gerechnet hatte. Ebenso darf der Arbeitgeber, wie im Falle des türkischen Arbeitnehmers, die Kündigung nicht in Kenntnis der Dauer der Abwesenheit des Adressaten in den Briefkasten als rechtsmissbräuchliches Verhalten ausgelegt werden.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.