Ankara droht erneut mit Krieg in der Ägäis
Spannungen zwischen Griechenland und der Türkei treiben neuem Höhepunkt zu
Von GEORGIOS ATHOS, Athen
Es gebe Krieg, falls Griechenland seine Hoheitsgewässer in der Ägäis von sechs auf zwölf Meilen ausdehne. So drohte der türkische Verteidigungsminister Mehmet Göhlan am 20. Oktober vom Fernsehschirm. Die Streitkräfte in der westlichen Türkei befänden sich bereits in erhöhter Alarmbereitschaft.
Der Fernsehsender KANAL ergänzte, die Kriegsmarine der Türkei habe „ihre Anwesenheit in der Ägäis erhöht“, der Oberkommandierende der türkischen Streitkräfte wolle die an der Mittelmeerküste stationierte Armee inspizieren und sein Stellvertreter plane einen Besuch bei den Truppen im besetzten Nordteil Zyperns. Nach Informationen der türkischen Presse soll dies alles bis zum 16. November abgeschlossen sein. An diesem Tag tritt nämlich die UN-Seerechtskonvention in Kraft, die den Ländern das Recht einräumt, ihre Hoheitsgewässer bis auf zwölf Seemeilen auszudehnen.
Während Griechenland seine Absicht kundgetan hat, von diesem Recht Gebrauch zu machen, ist die Türkei dem Über-
einkommen nicht beigetreten. Ankara glaubt sich daher berechtigt, dem Nachbarland im Ernstfall den Krieg zu erklären. Laut NATO-Vertrag ist im Falle eines Konflikts zwischen zwei oder mehreren Mitgliedern des Paktes kein Beistand von dessen Seite zu erwarten.
Athen nutzt bei seinem Anspruch auch ein Argument, das die Bundesrepublik dieser Tage geliefert hat. Die Bundesregierung hat nämlich am 19 Oktober beschlossen, die deutschen Hoheitsrechte in den Gewässern der Nordsee ab 1. Ja-
nuar 1995 auf zwölf Seemeilen auszudehnen. Diesem Beschluß, so berichtete die Nachrichtenagentur ATTE aus Bonn, seien Vereinbarungen mit den anderen Nordseeanliegern vorangegangen. In der Nordsee wurde das Problem also friedlich geregelt, warum - so fragt man in Athen - soll es in der Ägäis zum Kriegsgrund werden und warum läßt Ankara schon im Vorfeld seine Kanonen auffahren?
Was die Türkei Griechenland bei Strafe eines Krieges verweigert, hat sie zudem selbst
längst praktiziert. Gemäß dem Abkommen von Montego Bay (Jamaika -1982), das die Ausdehnung bereits ermöglichte, wurden die türkischen Hoheitsgewässer im Schwarzen Meer und an der eigenen Südküste auf zwölf Seemeilen erweitert. Die Türkei hatte sogar als erster Staat am Mittelmeer die bis dahin geltende 6-Meilen-Zone ausgedehnt. Die Küstenzone in der Ägäis jedoch wurde nicht erweitert, um Griechenland keinen Anlaß zum Nachziehen zu geben.
Ankaras Kriegsdrohungen sind freilich nicht neu. Die erste, fast wortgleiche Erklärung türkischer Offizieller stammt aus dem Jahre 1973. Seither wurde sie in regelmäßigen Abständen wiederholt. Angesichts der ohnehin gespannten Lage auf dem Balkan geben die neuerlichen Drohungen jedoch Anlaß zu großer Besorgnis. Der griechische Generalstab hat für die Zeit vom 30. Oktober bis 5. November bereits Manöver „großen Ausmaßes“ in Thrazien und der Ägäis angekündigt. Generalstabschef Lymperis wollte dies nicht als Antwort auf die türkische Drohung gewertet wissen. Auf entsprechende Journalistenfragen entgegnete er indes: „Wir fürchten uns nicht.“
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