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  • Kultur
  • „Die Auflehnung“, Roman von SIEGFRIED LENZ

Mit der Flinte an die Teiche

  • Lesedauer: 4 Min.

und den neuen Kaffeefahrten. Es stimmt alles leider nur im Prinzip.

Wenn man sich bei den Worten „Besitz“ und „Rivalen“ auch das dazugehörige Stichwort „Alteigentümer“ sofort wieder aus dem Kopf schlägt (der Roman spielt im Hamburger Raum), so bleibt doch der Eindruck eines Falls von Konkurrenzgesellschaft. Gefehlt, gefehlt und nur im Prinzip richtig. So ein naturalistischer Western ist das nicht. Die „Rivalen“, die dem Teichwirt zu schaffen machen, sind tierischuniversal. Auch Lenz leistet wie Kant seinen Jahresbeitrag zur Kormoran-Literatur. Der schwarze Vogel hält räuberischen Einzug an den norddeutschen Fischteichen des Frank Wittmann, und der wehrt sich mit einem alten Wehrmachtskarabiner und der Mißachtung des Naturschutzgesetzes. Das ist nun schon lange die originale Lenz-Ge-

Von WERNER LIERSCH

Siegfried Lenz: Die Auflehnung. Roman. Hoffmann und Campe. 432 S., geb., 42 DM.

schichte und nicht mehr ihre Annotation, die natürlich immer etwas anderes ist als der Autorentext, nur haben die beiden etwas gemeinsam mit dem Gewehr des Frank Wittmann, es verschießt große Munition mit lautem Knall in Richtung eines etwas kleinwüchsigen Gegenstandes.

Der Roman von Lenz ist ein Roman großer Intentionen und einer Geschichte, die sie nicht recht darstellen will. Anpassung oder Auflehnung, Widerstand oder Hinnahme heißen seine bedeutsamen Fragen. Sie sind weder als Richtungsfragen für westdeutsche Biographien übermäßig charakteristisch, noch als Drehpunkte der abgehobenen Erzählwerke, die eine bestimmte Feuille-

tonkritik so lange aus jungen deutschen Schreibstuben herbeigelobt hat, bis ihr vor ihrer Handlungs- und Erfahrungsarmut selbst grauslich geworden ist. Bei Lenz aber bestimmen existentielle moralische Fragen den Entscheidungshorizont von Lebenskrisen und setzen die Maßstäbe der Entscheidung. Es könnte spannend werden.

Fischteichbesitzer Frank Wittmann sieht sich durch den Kormoraneinfall in seiner Existenz gefährdet, sein Bruder Willi, ein international anerkannter Teekoster, dem seine Firma Ruf und Erfolg verdankt, hat sich mit dem Verlust seines Geschmacksinns auseinanderzusetzen. Er kehrt dazu in das ländliche Elternhaus an den Fischteichen zurück, das Frank verwaltet. Es sind schöne, alltägliche, etwas altväterliche Geschichten, die nur das Problem haben, mit einem Bedeutungshintergrund versehen

zu sein, der über lange Strekken vom Romangeschehen nicht getragen wird. Manchmal treibt die Differenz - besonders im Geschehen um den Teekoster Willi Wittmann - die Sache ungewollt ins leicht Theatralische oder auch Komische ab. Denn mit Willi Wittmann das Versagen der Geschmackspapillen als Einübung in die große Entsagung mitzuvollziehen gibt sein Fall - bei aller exzellenten Auskennerei des Autors in allen Teedingen - ebenso stockend her, wie sich die Ballereien seines Bruders etwa zu einem Akt einleuchtender Zivilcourage oder schönem Anarchismus formen wollen. Was haben uns doch da Stefan Heym oder Günter de Bruyn für Geschichten geschrieben.

Es ist eine enthaltsame „Auflehnung“, der dieser Text sich widmet, eine erzählerische Versuchsanordnung, ohne die provozierende Realität der tatsächlichen sozialen Herausforderungen, dafür aber mit dem Talent, sich fein runden zu können. Nichts ist in der Haupthandlung in wirklicher Gefahr, außer Kontrolle zu geraten. Selbst der Landpolizist,

der den Teichwirt wegen der Gesetzwidrigkeit seiner

Schießerei angehen muß, zeigt sich am Ende tolerant. Der Teekoster Willi nimmt den Platz seines Bruders ein und setzt sich mit der Flinte an die Teiche. Er wird nicht mehr in die Stadt zurückgehen. Die Brüder haben wieder zueinander gefunden.

Was Lenz in der Haupthandlung oft gelingt, ein Erzähler pur zu sein, der über die innere Unstimmigkeit der Szene hinwegerzählt, eindrucksvolle Stimmungen und Episoden über sie legt, fügt sich außerhalb der Geschichte der Brüder Wittmann in den Nebenhandlungen seltener. Lenz gibt das Gezügelte der Geschichte mit einem weiten Pendelschlag in die andere Richtung auf. Des Teichwirtes Tochter Ute gerät in eine unglückliche Beziehung zu dem notorischen Bösewicht Berni, der den Fischer bestiehlt und hintergeht, der Wittmanns Tochter vergewaltigt und das eigene Haus ansteckt. Hier bekommt die Geschichte einen Zug, der die Macher von Familien-Fernsehsagas reizen könnte. Und das wäre dann doch ein Übermaß von Kritik.

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