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Was ist der Mensch? Wozu ist er da?

Vnn KAR' H'HINZ KASPRR

  • Lesedauer: 3 Min.

wickelte. Der erste Teil trägt den Titel „Die Vögel...“ und verweist damit auf eine Fülle von Prätexten, von Aristophanes bis Hitchcock. 1971/75, als die Urfassung entstand und die wissenschaftlich-technische Revolution noch als allmächtig galt, ließ ein Untertitel aufhorchen: „Neue Kunde vom Menschen“ Der Reisebericht über die Vogelwarte auf der Kurischen Nehrung bot Anlaß zu fragen, ob der Mensch ungestraft aus der Natur aussteigen und sich zugleich ungeniert der Schöpfung bedienen kann. In einem apokalyptischen Traum erlebt der Erzähler den Weltuntergang. Als Epigraph macht das Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner aus dem Lukas-Evangelium deutlich, daß die Selbsterhebung des Menschen tiefe Wurzeln hat.

Andrej Bitow: Mensch in Landschaft. Eine Pilgerfahrt. Roman. Aus dem Russ. von Rosemarie Tietze. Rowohlt Berlin. 460 S., geb., 45DM.

„Der Stein, den die Bergleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden.“ Dieser Satz aus dem Psalm 118 ist dem zweiten Teil vorangestellt. 1983 geschrieben, war er ursprünglich „Mensch in Landschaft“ betitelt. Diesmal führt die Pilgerfahrt in ein Kloster bei Moskau, ein Freilichtmuseum der Vergangenheit, dessen Zustand auf die Notwendigkeit einer „Ökologie der Kultur“ aufmerksam macht. Ebenso beklagenswert wie die zur Müllwildnis degradierte Natur ist der verwahrloste Raum der Kultur Der fiktive Dialog mit

einem Maler gipfelt in der Frage, ob der Mensch „zürn Bilde Gottes“ erschaffen wurde, um die Schöpfung in ihrer Gesamtheit zu zerstören. Offensichtlich fehle der Mensch deswegen auf Landschaftsbildern, komme er höchstens als „Nase“ oder als „Ferse“ vor

Der dritte Teil, „Die Erwartung der Affen“ (1993), endet mit dem Moskauer Putsch vom 19 August 1991. Det Autor plant eine Reise in das georgische Dorf Tamysch, wo Affen, gattungsgeschichtlich ] immerhin eine Vorstufe dejr Menschen, in Freiheit leben. Doch die Reise findet nicht statt. Der Autor bleibt im Hotel, jährend in Georgien der Bürgerkrieg tobt. Offenbar hat die Evolution keinen Fortschritt gebracht, arbeiten die Menschen systematisch an ihrem Selbstmord,

schlußfolgert er. Seine Gesprächspartner in diesem Teil sind namenlos, gesichtslos, am Ende auch sprachlos. Der Text lebt von literarischen Anleihen - bei Dostojewski und Tschechow, Mandelstam und Pasternak, Iskander, Wenedikt Jerofejew und Brodsky Spielte der Alkohol schon in den anderen Teilen eine erhebliche Rolle, artikulieren sich Stimmen und Gegenstimmen jetzt immer häufiger im Rausch.

Das Buch ist eine bewegende Beschwörung der Endzeit, warnt die Menschen vor der Selbstzerstörung. Die Vergleiche mit Goethes „Faust“, Dantes „Göttlicher Komödie“ und Orwells „1984“, die in der Kritik zu finden sind, setzen bei dem eher essayistischen als romanhaften Text aber wohl doch zu hoch an.

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