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In Ungarns Unterwelt ist Russisch Umgangssprache

Ungarische und ukrainische Behörden versuchen gemeinsam gegen das organisierte Verbrechen vorzugehen

  • Lesedauer: 3 Min.

Von FERENC KLEIN. Budapest

Wer als Ostdeutscher im Budapester Rotlichtmilieu sein zweifelhaftes Vergnügen sucht, hat - endlich einmal - Vorteile gegenüber seinen Landsleuten aus dem Westen: Viele Damen, die in Topless-, Striptease- und Nachtbars, in Massagesalons, auf dem „gehobenen“ Strich rund um den Donau-Korso oder in Hotels arbeiten, sprechen nämlich Russisch.

Das Sex-Business Ungarns ist weitgehend in der Hand der russischen bzw. ukrainischen Mafia. Die hat auch einen Teil des Personals mitgebracht, das die Szene in ihrem Sinne kontrollieren hilft. Selbst das schlechteste Russisch eines vergnügungssüchtigen Sachsen ist an der Donau also mehr wert als das Oxford-Englisch eines bayerischen Oberlehrers. Denn die Währung, die beide

in der Tasche haben, ist dieselbe. Und so darf sich jener, der den besseren Kommunikationseffekt erzielt, der größeren Hinwendung sicher sein. Schließlich müssen Ostler zusammenhalten, und sei es auf dem Lotterbett...

Ausnahmen bestätigen die Regel. So gab es eine russische Prostituierte, die von der Boulevardpresse als Sprachwunder präsentiert wurde. Akade-

misch gebildet, vermochte sie die Gäste der Topless-Bar, in der sie arbeitete, in einem halben Dutzend „Ost- und Westsprachen“ zu Whisky-Cola für schlappe 45 Mark zu überreden. Ob des hohen Umsatzes, den sie brachte, erweckte sie jedoch den Neid ihrer Kolleginnen. Bald daraufzog sie mit der Bemerkung, sie sei wohl für Budapest „überqualifiziert“, gen Deutschland.

Der ungarischen Unterwelt ist natürlich die russischukrainische Konkurrenz ein Dorn im Auge, doch gewachsen ist sie ihr nicht. Letztere zögert nicht eine Sekunde, sich den Weg notfalls mit Kalaschnikows freizuschießen.

Inzwischen sind die Reviere im Milieu bis auf den letzten Zentimeter aufgeteilt und werden um jeden Preis gehalten. Vor ein paar Wochen beanspruchten zwei rivalisierende ukrainische Zuhälterbanden ein und denselben Abschnitt auf dem Straßenstrich im 8. Budapester Stadtbezirk. Als man sich nicht gütlich einigen konnte, verabredete man offenbar ein „klärendes Gespräch“. Das erwies sich jedoch als tödlicher Hinterhalt. Denn als die neuen Rivalen mit einem „Chrysler“ zu fünft zum Treffpunkt kamen, wurden sie von einem Kugelhagel empfangen. Einer der Gangster starb auf dem Weg ins Krankenhaus, die anderen

machten sich aus dem Staub, bevor die Polizei eintraf. Nach zweien wird namentlich gefahndet. Die Identität der übrigen steht bislang nicht fest.

Ungarische und ukrainische Behörden versuchen nach Kräften, gemeinsam gegen das organisierte Verbrechen vorzugehen. Seit kurzem ist an der Botschaft der Ukraine in Budapest ein hochrangiger Diplomat und Sicherheitsfachmann im Generalsrang damit beschäftigt. Doch an seinem Erfolg muß gezweifelt werden. Denn die Unterwelt ist zu gut organisiert und tarnt ihre dunklen Geschäfte nicht selten mit ganz legalen Firmen.

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