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Heilsame Verwirrung

„Gojele“, ein beeindruckender Roman von KARL von WETZKY

  • Lesedauer: 2 Min.

Ein Buch über kleine Leute, aber mit einem großen Atem, über eine kurze Zeitspanne und einen winzigen Ort, aber eingebettet in die Weite der Welt und die Menschheitsgeschichte. Es ist das deutschsprachige Romandebut des 1974 aus Prag in die Bundesrepublik übergesiedelten Journalisten Karl von Wetzky Der Autor, 1935 geboren, wuchs als Deutscher in Mähren auf und entging der Aussiedlung bei Kriegsende nur durch Zufall. Durch das Versehen eines Beamten wurde er mit seiner Mutter nicht nach Weidenau, ins Sammellager für deutsche Aussiedler geschickt, sondern nach Weidenitz, heute Vidnice, wo Juden aus osteuropäischen Ländern zur Ausreise nach Palästina zusammenkamen. Hier begannen die „elf Monate“, die seinen „Weg zum Verstehen sehr verkürzt“ haben.

So beginnt der Roman: Heinrich-Adolf Dedek und seine Mutter zotteln ihren Handwagen durch eine kriegszerwühlte Landschaft zur vermeintlichen Sammelstelle. Vor wenigen Tagen erst hat der 12jährige einen Panzerfaustlehrgang für Schüler abgeschlossen. Stolz war er, in der Schulklasse als „rassisch nordisch“ zu gelten. Nun finden sie sich als einzige Deutsche im jüdi-

Karl von Wetzky: Gojele oder eines Christenbuben jüdische Abenteuer Roman. Morgenbuch Verlag Volker Spiess Berlin. 308 S., geb., 39,80 DM.

sehen „Schtetl“ wieder, wo fast alles bisher Gelernte auf dem Kopf steht und der Junge in heilsame Verwirrung gerät. Erschrecken, Erstaunen, Befürchtungen und Mißverständnisse, Annäherungen und Konfrontationen sind zu bestehen, bis ihm von den neuen Gefährten der Name „Goj-ele“, das heißt „nicht-jüdischer Freund“, angetragen wird.

Den ersten Satz in der ersten Unterrichtsstunde muß er, der Fremde, sich noch aus dem

„Iwrit“, dem Neuhebräischen, übersetzen lassen: „Unterdrücke nicht den Fremden, der bei dir wohnt! Ihr wißt, wie das ist, denn ihr wart Fremdeinwohner im Lande Ägypten!“ Ein Leben lang gültig blieb für den Jungen - wie für den Autor

- das Erlebnis der Toleranz im Weidnitz jener Tage. Der Vernichtung knapp entronnen, ließ man einander gelten - so wie im Schtetl viele Sprachen gesprochen wurden und nur eine, die jiddische, für alle verständlich war Mit der dort erfahrenen Toleranz konnte Karl von Wetzky später über seine Gefährten von damals schreiben, kenntnisreich, humorvoll

- und ohne Verklärung.

MARIANNE SCHMIDT

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